Ehrlichkeit in Beziehungen

Angst vor dem Unbekannten: Die Hürde des Loslassens

Ehrlichkeit und Vertrauen werden oft in einem Atemzug genannt. Was haben sie miteinander zu tun?

Ehrlichkeit ist im objektiven Sinne nicht wichtig. Solange ein ferner Bekannter oder ein zurückgezogen lebender Nachbar nichts mit uns zu tun hat, kann uns Ehrlichkeit schnuppe sein. Ehrlichkeit ist kein Wert, den alle Menschen tatsächlich leben müssen oder sollten.

Ganz im Gegensatz zu einem Wert wie ein gewaltfreier oder respektvoller Umgang miteinander, was wir von allen Menschen erwarten.

Die Frage, warum ist Ehrlichkeit wichtig, stellt sich uns erst, wenn uns die Ehrlichkeit in Beziehungen selbst betrifft. Auf der anderen Seite, wer kann das beantworten?

Welche uns übergeordnete Instanz soll definieren können, was uns wichtig ist? Wer außer uns kennt die Werte, die für uns Bedeutung haben und welche nicht? Werte sind höchst persönlich und haben eine individuelle Bedeutung.

Ehrlichkeit ist der Schmierstoff für eine erfüllende Beziehung​

Weder in Zeitschriften oder im Internet findest dazu eine befriedigende Antwort – für dich. Die philosophischen Antworten von Ethik-Professoren sind im stillen Kämmerlein entstanden und haben nur selten etwas mit deinem oder meinem Leben zu tun.

Generell lässt sich sagen, dass je näher uns eine Person steht, desto mehr Ehrlichkeit erwarten wir von ihr – uns gegenüber. Warum Ehrlichkeit wichtig ist, ergibt sich aus der jeweiligen Beziehung zu einer Person: Sind es Bekannte, Freunde, deine Kinder oder ist es dein Partner?

Ehrlichkeit in Beziehungen ist der Schmierstoff für eine glückliche Partnerschaft und spürbare Nähe. Außerdem ist sie Voraussetzung für eine heilsame Selbsterforschung.

ENTSCHEIDUNGSGRUNDLAGEN​

Aber zurück zur Ausgangsfrage: Warum ist Ehrlichkeit wichtig? Konzentrieren wir uns bei der Betrachtung auf die Ehrlichkeit des Partners.

Das gefühlt emotionale Bedürfnis nach Ehrlichkeit hat etwas mit unserem Verstand und Geist zu tun, der unser Leben plant und gestaltet. Für seine Planung und Einschätzung von Situationen braucht er Informationen, die er bereits kennt, also sein Wissen, und/oder er braucht auf neue Fakten und Tatsachen. Fakten und (vermeintliche) Tatsachen sind die Zutaten jeder Planung.

Unser planender Geist braucht Informationen, auf die er sich verlassen kann. Informationen, die wahr sind. Informationen, denen er vertrauen kann.

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Ent-täuschung über die Täuschung​

Wenn wir offensichlich belogen werden, werden wir wütend. Wenn wir offensichtlich getäuscht werden, sind wir enttäuscht vom Partner, weil uns der Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Diese Enttäuschungen sind oftmals Auslöser für einen Streit.

Der Frust sitzt tief, denn wir können die Aussagen des unehrlichen Partners nicht länger „richtig“ einschätzen. Wir wissen nicht, woran wird sind, und fühlen uns vom Partner gekränkt. Das Vertrauen geht flöten. Verlustangst taucht auf und das Selbstwertgefühl schwindet.

Vertrauen ist das „Garantiegefühl des Verstandes“, dass alles, was passieren wird, genauso passiert, wie er es sich ausmalt. Und das alles, was er hört und sieht, wahr ist.

Ehrlichkeit gibt uns Sicherheit​

Wenn sich herausstellt, dass wir von unserem Partner belogen worden sind, haben wir möglicherweise eine Entscheidungen getroffen, die wir mit den wahren Informationen ganz anders getroffen hätten. Oder uns ein Urteil gebildet, das sich im Nachhinein als gegensätzlich zum „falschen“ herausstellt.

Es fühlt sich an, als wären wir in eine Falle gelockt worden. Wir stehen da wie begossener Pudel. Düpiert und vorgeführt.

Ehrlichkeit in Beziehungen verspricht unserem Geist Sicherheit, Situationen richtig einzuschätzen und Menschen richtig zu beurteilen. Sie gibt uns die brüchige Sicherheit, alles im Griff zu haben und selbst unsere Eifersucht kontrollieren zu können.

LÜGEN UND FALSCHE LOYALITÄT​

Es heißt zwar, wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Aber seltsamerweise verharren viele Menschen über Jahre in Beziehungen, in denen sie belogen werden. Sie wissen, dass sie belogen werden. Und der Partner, der lügt, weiß, dass der Belogene so tut, als wüsste er nicht, dass er belogen wird.

Die Frage ist also, warum gelingt es nicht, sich dagegen zur Wehr zu setzen und sich in letzter Konsequenz zu trennen?

In meinen Augen sind es andere uns wichtige Werte, die uns an einer Beziehung festhalten lassen, die wegen fortgesetzten Lügens und Täuschens schlichtweg kaputt ist. Werte wie Loyalität oder finanzielle und emotionale Sicherheit binden uns an einen Partner, der uns nicht gut tut. Oder die Angst, nach einer Trennung nie wieder einen Partner zu finden und in Einsamkeit arm zu sterben.

Es sind unbewusste Glaubenssätze über eine Beziehung wie „Man muss sich durchbeißen“ oder „Wir gehören zusammen!“.

All das sind Gründe, die uns in einer emotionalen Abhängigkeit halten und warum wir uns wieder und wieder von unserem Partner durch Lug und Trug vorführen lassen. Warum wir seine Unehrlichkeit in Kauf nehmen.

Irgendwann durchschauen wir ja auch das Spiel, nehmen die Aussagen nicht wörtlich, „übersetzen“ die Lügen des Partners in die Wahrheit dahinter und finden uns möglicherweise irgendwann mit der Situation ab.

Nun lügt uns nicht nur der Partner an, sondern wir belügen uns selbst. Wir sind unehrlich, wenn wir behaupten, es mache uns nichts aus. Wir verraten unsere Träume von einer glücklichen Beziehung – offen, ehrlich und voller Liebe.

WIEVIEL EHRLICHKEIT VERTRÄGT BEZIEHUNG?​

Jede Beziehung verträgt soviel Ehrlichkeit, wie sie Disharmonie verarbeiten kann.

Die Frage nach der Ehrlichkeit ist im Grunde genommen die Frage, wieviel Überraschungen oder unangenehme Informationen können wir einander zumuten. Manchen fehlt das Vokabular, ihre Befindlichkeit auszudrücken.

Die Frage müsste also lauten: Wie viel Ehrlichkeit kann eine Beziehung verarbeiten? Und das ist von Paar zu Paar unterschiedlich … Wieviel Authentizität verträgt sie?

Das Problem mit der Ehrlichkeit in Beziehungen ist nicht die Ehrlichkeit selbst – etwa 80 % der deutschen Paare erwarten von ihrem Partner Ehrlichkeit –, sondern der Umgang mit ihr.

Aber in vielen Beziehungen wissen die Partner gar nicht, wie sie mit einer ungebremsten Offenheit und Ehrlichkeit ihres Lebensgefährten umgehen sollen oder können.

Kein Wunder also, dass sich mehr Menschen einer Freundin oder einem Freund anvertrauen als ihrem Partner. Es ist leichter, sich nichtssagende Ratschläge anzuhören als sich mit der Betroffenheit des Partners auseinanderzusetzen.

Menschen, die ihre Gefühle wie Angst, Trauer oder Wut verlernt haben auszudrücken, können gar nicht mit einem angemessenen Gefühl auf die Ehrlichkeit des Partners reagieren. Ihnen „fehlt“ schlichtweg das passende Gefühl, das helfen würde, die Situation zu verarbeiten – neben klärenden Gesprächen.

Paare, bei denen ein konfliktfreies harmonisches Miteinander ganz oben auf der Werteskala steht, muten sich weniger Ehrlichkeit zu als Partner, die Disharmonie und Meinungsverschiedenheiten als wichtigen oder zumindest nicht zu verhindernden Teil ihrer Beziehung sehen.

Persönliches Wachstum​

Es stellt sich auch die Frage, inwieweit Störungen durch ehrliche Bekenntnisse oder Aussagen als Kränkungen empfunden werden oder als „Bereicherung“ für die persönliche Entwicklung.

Wieviel persönliches Wachstum erlauben wir uns und dem Partner? Nur wenn wir in der Lage sind, unsere inneren Impulse und Wünsche und Bedürfnisse und Gedanken und Glaubenssätze zu sehen und zu erleben und zu spüren, können wir ihnen folgen und sie weiterentwickeln. So wachsen wir.

Nur wenn wir ehrlich auch uns selbst gegenüber sind und auch bereit sind, unsere jetzige Identität zu erweitern und zu sehen, dass wir möglicherweise am Ende unseres Lebens jemand anderes geworden sind als wir einmal glaubten zu sein, können wir in Lebendigkeit wachsen und uns entwickeln statt nur mit in der Kindheit erlernten Verhaltensmustern und Denkstrukturen alt zu werden.

Die Frage, wieviel Ehrlichkeit in Beziehungen vertragen werden, lässt sich also nicht eindeutig beantworten. Es kommt auf die Belastbarkeit der Partnerschaft an – und die wird definiert durch Trennungs- und Verlustängste. Dadurch, wie innerhalb der Beziehung Liebe definiert wird. Wie emotionale Nähe zugelassen wird. Wie Disharmonie vermieden und Harmonie mit aller Gewalt hergestellt wird. Wie frei wir innerlich sind.

Und letzten Endes ist also die Frage, warum Ehrlichkeit wichtig ist, nicht eindeutig zu beantworten. Am Schluss muss es jeder für sich selbst erkunden, was er sich von der Ehrlichkeit versprich. Es gibt keine allgemeingültige Antwort.

Man darf seinen Partner nicht verletzen - ist das wahr?

Fallbeispiel

Man darf seinen Partner nicht verletzen?

Lotte machte – nach heutigem psychologischem Verständnis – alles richtig: Wenn sie mit ihrem Mann über seine Frauengeschichten redete, redete sie in der Ich-Form. Sie erzählte, wie es ihr damit ging, welche Gefühle sie hatte, welche Wünsche sie hatte, wenn er, Rolf, von anderen Frauen – alten und neuen Bekannten – schwärmte. 

Was diese alles so phänomenal machten und wo sie einfach umwerfend waren. Wie sie es geschafft hatten, so jung geblieben zu sein und was sie eine richtig gute Live-Balance hielten … seine Begeisterung für die anderen Frauen, mit den er sich auch regelmäßig verabredete, kannte keine Grenzen. 

Rolf schwärmte, Lotte litt. 

Eigentlich wollte sie sich von Rolf sich trennen – aber es ging nicht. In ihrem Fall war der Knackpunkt ein Glaubenssatz, der ihr erst in einem unserer Gespräche bewusst wurde. 

Bei jeder Aussprache mit Rolf knickte er sichtbar ein: Er verstand sie, er konnte mitfühlen, und er beteuerte, dass er sie und nur sie liebte. Er rutschte in seinem Sessel immer tiefer, konnte den Kopf gar nicht mehr aufrichten – und Lotte bekam ein schlechtes Gewissen. 

In ihr schlummerte der Glaubenssatz: „Man darf seinen Partner verletzen!“ Und sobald sie Rolf in diesen Gesprächen zusammenfallen sah, hatte sie das Gefühl, ihn zu verletzen. 

Sicherlich war es nicht Rolfs bewusste Absicht, Lotte ein schlechtes Gewissen zu machen. Aber sein Verhaltensmuster passte auf ihren Glaubenssatz wie die Faust aufs Auge. Diese Aussprachen waren der Moment, in dem alles wieder auf Null gestellt wurde. 

Sie wagte in der nächsten Zeit nichts mehr zu sagen, wenn er ganz allmählich wieder die Fühler nach den Frauen ausstreckte, die ihn so ins Schwärmen brachten. 

Oftmals nützt es gar nichts, viel über Ehekrisen und richtige Kommunikation zu wissen, wenn ein einziger Glaubenssatz die Situation blockiert. 

Als wir gemeinsam ihren Glaubenssatz in Beziehung zu ihren gemeinsamen Aussprachen setzten, konnte sie schnell einsehen, dass ihr Verhalten überhaupt kein bisschen kränkend oder verletzend war, wie sie es bis dahin geglaubt hatte. 

Ab diesem Moment kam Bewegung in ihre Beziehung.

BEITRAG AUF HAFAWO

Warum ist es etwa 80% aller deutschen Paare wichtig, dass sie einen ehrlichen Partner haben? Dieser Frage gehe ich in einem Gastbeitrag („Über die Ehrlichkeit und warum wir lügen“) auf HAFAWO – Happy Work. Happy life. nach.