Vom Geben und Nehmen

Eine Weisheit mit viel Konfliktpotential

Geben und Nehmen – was steckt wirklich dahinter? Manche Menschen rechnen stĂ€ndig mit, ob ihr Geben und Nehmen im richtigen VerhĂ€ltnis steht. Sie machen sich einen unnötigen Stress.

Die Redewendung „Das Leben ist ein Geben und Nehmen“ soll es schon seit Beginn der Menschheit geben und das ein Grundprinzip menschlicher Gemeinschaften ausdrĂŒcken. Das hört sich plausibel an und die meisten Menschen werden dem so beipflichten können. Sie kennen es aus ihrem Alltag. Es ist ein Geben und Nehmen – und manchmal ist das VerhĂ€ltnis zueinander ungleich.

Die Redewendung „Das Leben ist ein Geben und Nehmen“ soll es schon seit Beginn der Menschheit geben und das ein Grundprinzip menschlicher Gemeinschaften ausdrĂŒcken. Das hört sich plausibel an und die meisten Menschen werden beipflichten. Sie kennen es aus ihrem Alltag. Es ist ein Geben und Nehmen – und manchmal ist das VerhĂ€ltnis zueinander ungleich.

Es gibt Menschen, die geben mehr, und es gibt Menschen, die nehmen mehr als sie geben. Das finde ich nicht weiter tragisch, denn das Leben ist immer unausgewogen. Wenn zwei Menschen zusammenkommen, will ein Mensch mehr, der andere weniger. Der eine will lĂ€nger zusammen am Tisch sitzen, der andere kĂŒrzer. Der eine will mehr Sex, der andere weniger. Der eine will lĂ€nger verreisen, der andere kĂŒrzer. So gesehen gibt es keine Gleichheit.

"Geben und Nehmen" klingt wie "Zahn um Zahn"

Obwohl es kaum eine Lebenssituation gibt, in der zwei Menschen genau das gleiche im selben Tempo wollen, in derselben HĂ€ufigkeit, in derselben Menge wollen, streiten wir uns um diese Nuancen und machen aus einer MĂŒcke einen Elefanten.

BuchfĂŒhrung ĂŒber das Geben und Nehmen​

Wenn ich die Redewendung „Das Leben ist ein Geben und Nehmen“ höre, denke ich auch an „Wie du mir, so ich dir.“ Das klingt weniger weise, sondern hört sich nach Drohung an. Aber das Prinzip dahinter ist dasselbe: es geht um Gegenseitigkeit. Es ist die diplomatische Variante von „Zahn um Zahn“.

Der gemeinsame Nenner, warum ich „Geben und Nehmen“ und „Wie du mir, so ich dir“ zusammenbringe, ist vielleicht die gefĂŒhlte Unfreiheit dahinter. „Geben und „Nehmen“ klingt im ersten Moment charmant und positiv im Sinne einer guten Gemeinschaft, aber eigentlich steckt immens viel Druck dahinter.

Sobald wir etwas geben, erwarten wir, dass ĂŒber kurz oder lang auch etwas zurĂŒckkommt. Wir fĂŒhren unbewusst ein Haushaltsheftchen mit zwei Spalten: eine Spalte fĂŒr unsere guten Taten, und eine fĂŒr die guten Taten der anderen – an und fĂŒr uns. Freundschaftsdienste eben.

So manch ein Freundschaftsdienst kann sich wie eine Last anfĂŒhlen, die man umgehend loswerden will: durch zeitnahes ZurĂŒckschenken von etwas Gleichwertigem.

GlaubenssĂ€tze, die ein Geben und Nehmen verhindern.​

Geduldigere und spirituelle Naturen unter uns haben beim Gegenrechnen einen langen Atem, denn sie wissen, dass das Universum sie nicht vergisst und ihre gute Tat irgendwann belohnt wird. Solche Menschen rechnen halt in langen ZeitrĂ€umen mit. Nach außen fĂŒhlt es sich großzĂŒgig an, trotzdem ist es ein buchhalterisches Gegenrechnen im Sinne von „Geben und Nehmen“.

Wie wir ja alle wissen, ist bei vielen Menschen das VerhĂ€ltnis im Geben und Nehmen nicht immer im Gleichgewicht. Das ist sicherlich abhĂ€ngig davon, mit welchen GlaubenssĂ€tzen wir in der Welt stehen. Ein Menschen mit einem gesunden SelbstwertgefĂŒhl hat sicherlich die besten Voraussetzungen, um das Geben und Nehmen einigermaßen ausgewogen zu leben.

Menschen mit einem Glaubenssatz wie „Das Leben ist nicht fair“ oder „Kein Mensch interessiert sich fĂŒr mich“ oder „Mich mag sowie keiner“ tun sich wohl eher schwer zu geben. Denn wer will schon, denken sie, von einer ungeliebten Person etwas nehmen?

Und sie können auch nicht wirklich etwas annehmen, weil sie sich nicht vorstellen können, dass die Freundschaftsdienste an sie von Herzen kommen könnten. An sie, die keiner mag.

Im Grunde genommen sind die Menschen mit so einem selbstzerstörerischen Mindset raus aus der Nummer „Geben und Nehmen“. Kein Geben, weil ihr „Zeug“ sowie keiner mögen wĂŒrde. Kein Nehmen, weil sie nichts verdient haben.

Falsche Erziehung​

Und sonst? Was ist mit den Menschen, die eine einigermaßen gesunde Einstellung zum Leben haben? Ich glaube, dass es in unserer Gesellschaft verdammt schwierig ist, etwas unbekĂŒmmert anzunehmen, ohne gleich zu ĂŒberlegen, wie kann ich mich revanchieren.

Einen Menschen mit einer guten Kinderstube erkennen wir daran, dass er niemals ‚Ich‘ an den Satzanfang stellt. Und so, wie wir es formulieren und uns bescheiden an die zweite Stelle setzen, so sollen wir auch denken. Immer kommen die anderen zuerst. NatĂŒrlich ist die „richtige“ Satzstellung des Ich eine Kleinigkeit, aber symbolisch dafĂŒr, wie unsere Erzieher daran arbeiten, uns unseren sogenannten Egoismus auszutreiben.

SpĂ€ter, wenn wir uns in der Welt der Erwachsenen zurechtfinden mĂŒssen, geht es genau so weiter: Zuerst die anderen. Die EhemĂ€nner gehen altruistisch fĂŒr die Familie arbeiten („Ich mach das nur fĂŒr uns!“), die MĂŒtter opfern sich fĂŒr die Kinder auf und bringen ihnen bei, wie man sich nicht egoistisch verhĂ€lt. Immerhin leben sie es vor – pĂ€dagogisch betrachtet vorbildlich.

Menschen, die beispielsweise wegen Burnout zum ersten Mal in eine Therapie gehen oder zum ersten Mal mit Selbsterfahrung konfrontiert werden, mĂŒssen schmerzlich erfahren, dass das An-sich-selbst-denken kein Egoismus ist.

Die Angst, von den Mitmenschen als Egoist betrachtet zu werden, ist so in unser Hirn eingebrannt, dass es lange dauert, da wieder rauszukommen und ein gesundes Selbstvertrauen zu entwickeln.

Was ist daran das Schlimmste 
​

Wenn man einmal die Übung macht: Was ist das Schlimmste daran 
“, dann stoßen wir immer wieder auf den Grund dessen vor, wo es wirklich mangelt: am SelbstwertgefĂŒhl. FĂŒr diejenigen, die diese Übung nicht kennen, zeige ich hier einen typischen Verlauf:

Eine Frau hat das Problem, alles perfekt machen zu mĂŒssen. Sie leidet an dieser Forderungen, kann es aber nicht abstellen. Der Coach fragt sie, was ist das Schlimmste daran, wenn sie es nicht perfekt machen könnte.

Sie: „Es wĂ€re einfach nur schrecklich!“

Er: „Was wĂ€re daran das Schlimmste 
?“

Sie: „Die Menschen wĂŒrden schlecht ĂŒber mich reden!“

Er: „Was wĂ€re daran das Schlimmste 
?“

Sie: „Die Menschen wĂŒrden nicht sehen, wie ich wirklich bin!“

Er: „Was wĂ€re daran das Schlimmste 
?“

Sie: „Keiner wĂŒrde mich lieben.“

Er: „Was wĂ€re daran das Schlimmste 
?“

Sie: „Ich wĂŒrde nicht mehr dazugehören.“

Er: „Was wĂ€re daran das Schlimmste 
?“

Sie: „Ich wĂŒrde verkĂŒmmern. Keine Liebe. Einsamkeit.“

In den meisten FĂ€llen, in denen die Menschen diese Fragenkaskade beantworten, lĂ€uft es am Ende darauf hinaus, dass sie – egal was sie tun – es tun, um die Einsamkeit und die fehlende WertschĂ€tzung nicht nicht zu spĂŒren. Die Achtung und WertschĂ€tzung fĂŒr ihr wahres Wesen. FĂŒr das innere Kind.

Bedingungsloses Geben​

Und wir, die wir gelernt haben, unseren gesunden Egoismus zu verbergen (er lÀsst sich ja nicht wegerziehen), können im Grunde genommen gar nicht so viel geben wie es im Sinne des Geben und Nehmen sein sollte.

Wir leben alle in einem Defizit von WertschĂ€tzung und haben ein fehlendes SelbstwertgefĂŒhl. Doch ohne ein gesundes SelbstwertgefĂŒhl und einem nach WertschĂ€tzung und Achtung und Respekt dĂŒrstendem Selbst kann man nicht von Herzen geben.

Von Herzen geben bedeutet keine Gegenleistung zu erwarten. Und da stellt sich die Frage, wie das möglich sein soll. Wie kann ein leeres Herz bedingungslos lieben? Ist es da nicht zuerst einmal wichtig, sich selbst mit WertschĂ€tzung und Respekt bedingungslos zu ĂŒberhĂ€ufen?

In spirituellen Kreisen versuchen viele Menschen einen Weg zu bedingungsloser Liebe zu finden. Das ist ja einem bedingungslosem Geben sehr nah.

Was ist daran das Schlimmste 
​

Und wir, die wir gelernt haben, unseren gesunden Egoismus zu verbergen (er lÀsst sich ja nicht wegerziehen), können im Grunde genommen gar nicht so viel geben wie es im Sinne des Geben und Nehmen sein sollte.

Wir leben alle in einem Defizit von WertschĂ€tzung und haben ein fehlendes SelbstwertgefĂŒhl. Doch ohne ein gesundes SelbstwertgefĂŒhl und einem nach WertschĂ€tzung und Achtung und Respekt dĂŒrstendem Selbst kann man nicht von Herzen geben.

Von Herzen geben bedeutet keine Gegenleistung zu erwarten. Und da stellt sich die Frage, wie das möglich sein soll. Wie kann ein leeres Herz bedingungslos lieben? Ist es da nicht zuerst einmal wichtig, sich selbst mit WertschĂ€tzung und Respekt bedingungslos zu ĂŒberhĂ€ufen?

In spirituellen Kreisen versuchen viele Menschen einen Weg zu bedingungsloser Liebe zu finden. Das ist ja einem bedingungslosem Geben sehr nah.

Ein feines Sprungbrett zur bedingungslosen Liebe ist das „bedingungslose Geben“. Wer danach lebt, beschenkt andere und sich selbst.

Wer bedingungslos gibt, verschenkt sich. Er gibt, was er hat. Er gibt ohne Vorsicht, gibt ohne zu zögern, weil er nicht spekuliert, etwas zurĂŒckzubekommen. Hat er gegeben, lĂ€sst er los. Kein Gedanke hĂ€ngt mehr am Beschenkten: wann werde ich etwas zurĂŒckbekommen?

Wer auf das bekannte „Geben und Nehmen“ pocht, wartet. Wer bedingungslos gibt, macht sich bereit fĂŒrs nĂ€chste Verschenken.

Undankbarkeit​

Ich finde, dass die Redewendung vom Geben und Nehmen belastet wird durch unsere Bewertungen. Geben ist „seliger als nehmen“ und Nehmen ist sowie nur fĂŒr Egoisten. Diese angebliche Gegenseitigkeit kann ich nicht fĂŒhlen.

Wer schenkt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, kennt keine undankbaren Menschen.​

Wer gibt, ohne auf Gegenseitigkeit zu bestehen, entledigt sich quasi all der undankbaren Menschen. Dieses „Entledigen“ findet nur im Geiste statt. Denn tatsĂ€chlich entledigt man sich seiner quĂ€lenden Gedanken, dass die anderen Menschen undankbare Menschen sind. Wenn es uns gelingt, tatsĂ€chlich alle Gedanken rund um das Nehmen und Geben abzulegen und uns selbst frei zu verschenken, dann bleiben wir als Individuuen zurĂŒck, die nicht mehr hinter dem RĂŒcken des anderen lĂ€stern: „Der ist so unglaublich undankbar!“