Othello-Syndrom und Eifersuchtswahn

Wie sich massiver RealitÀtsverlust auswirkt

Beim Eifersuchtswahn verlieren die Betroffenen jede WirklichkeitsnÀhe. Sie unterstellen ihrem Partner stÀndige Untreue.

Unter dem Othello-Syndrom versteht man in der Psychologie einen Symptomkomplex, der in der Regel mit einer pathologischen Eifersucht auftritt.

Benannt ist das Syndrom nach der krankhaft eifersĂŒchtigen Hauptfigur der Shakespeare-Tragödie „Othello, der Mohr von Venedig“. In diesem berĂŒhmten Werk endet die Eifersucht fĂŒr den Feldherren Othello tödlich, da er erst seine Ehefrau Desdemona und schließlich sich selbst umbringt.

GeprÀgt hat den Begriff der britische Psychiater John Todd, der im Jahre 1955 eine erste Studie zu diesem Wahn veröffentlichte. Darin stellte er fest, dass sowohl Frauen als auch MÀnner unter dem Eifersuchtswahn leiden können. MÀnner jedoch rutschen signfikant hÀufiger in diese krankhafte Psychose rein.

Ein grundsĂ€tzliches Problem der Eifersucht ist, dass sie sich immer gleich anfĂŒhlt, egal wie stark die betroffenen Menschen leiden und ob es einen realen Anlass gibt oder nicht. FĂŒr die Betroffenen ist es ihre RealitĂ€t.

Es gibt keine RealitĂ€t, die sich realer anfĂŒhlt als eine andere.

Die ÜbergĂ€nge von der milden bis hin zur schweren Form mit einer zunehmenden Gewaltbereitschaft sind fließend.

Das macht es fĂŒr die LebensgefĂ€hrten so schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu finden, um ernsthaft auf das Problem zu reagieren und die Reissleine zu ziehen – bevor die Beziehung in die BrĂŒche geht.

RealitĂ€t fĂŒhlt sich fĂŒr jeden gleich an. Mit oder ohne Eifersucht. ​

Bei der ehelichen Paranoia, wie diese Psychose auch genannt wird, reden sich die Betroffenen vor allem ein, dass ihr Partner fremdgegangen ist. Oder bald fremdgehen wird, obwohl es in den allermeisten FĂ€llen nicht den geringsten Hinweis dafĂŒr.
 

Folglich kommt es in den Partnerschaften zu Eifersuchtsszenen und Rechtfertigungsorgien. Der Erkrankte kann nicht mehr klar zwischen Vermutung und Wirklichkeit unterscheiden. Er versteift sich in die eigenen Vorstellungen und erklÀrt seine Vermutungen zu Tatsachen.

Er ist nicht mehr in Lage, das Geschehen auch nur ansatzweise aus der Sicht des Partners zu sehen. 

UNSCHULDSBEWEISE WERDEN ZURÜCKGEWIESEN​

Bei einem bekannten Fall des Othello-Syndroms unterstellt die wahnhaft eifersĂŒchtige EnglĂ€nderin Debbie Woods ihrem Verlobten, sich gar in Frauen aus Zeitschriften oder dem Fernsehen zu verlieben.

Außerdem zwingt sie ihn jedes Mal, wenn er das Haus verlĂ€sst und zurĂŒckkommt, einen Test mit einem handlichen LĂŒgendetektor durchzufĂŒhren. Leben am Rande des Wahnsinns.

Wenn dein LebensgefÀhrte felsenfest davon ausgeht, dass du eine AffÀre hast oder er dich zwanghaft kontrolliert, könnten solche Symptome auf das Othello-Syndrom hinweisen.

Die Partner werden zu unrecht der Untreue beschuldigt. Auf Dauer zermĂŒrben diese VorwĂŒrfe die meisten Partner, die von Tag zu Tag immer unsicherer werden, weil sie nicht mehr wissen, wie sie richtig reagieren sollen.

Große Angst vor Einsamkeit und Verlustangst befeueren den Eifersuchtswahn im Alter.

Ein Teufelskreis

Aber fĂŒr den krankhaft EifersĂŒchtigen ist diese Unsicherheit nur ein Indiz fĂŒr ein schlechtes Gewissen. Wegen einer verheimlichten AffĂ€re oder wegen eines verheimlichten Seitensprungs.

Ein Teufelskreis, in den der eifersĂŒchtige Kranke seinen Partner hineinzieht.

Im Grunde genommen möchte ein eifersĂŒchtiger Mensch seinem LebensgefĂ€hrten klarmachen, dass er ihn nicht verlieren möchte.

Durch seine VorwĂŒrfe und sein „Checken“ privater Sachen des anderen erreicht er allerdings das Gegenteil: er vertreibt den Menschen, den er liebt. Der aber sucht das Weite, weil er den Zustand der Beziehung und das Wahnverhalten des anderen nicht mehr ertrĂ€gt.

Die bösartigen Unterstellungen untreu zu sein, werden immer hĂ€ufiger. Die Betroffenen möchten den Partner ganz fĂŒr sich allein haben und schrĂ€nken seine Bewegungsfreiheit immer weiter ein.

SYMPTOME FÜR EINEN EIFERSUCHTSWAHN​

Wenn dir dein Partner wie aus dem Nichts VorwĂŒrfe von Untreue macht, kann dies auf eifersĂŒchtigen Wahn hindeuten. All deine Beteuerungen vom Gegenteil und die BestĂ€tigung, ihn zu lieben, bringen ihn nicht von seiner Meinung ab.

Die eifersĂŒchtigen Patienten leiden unter der Vorstellung, betrogen zu werden. Die Angst ist so groß, dass sie sich der Untreue sicher sind. Auch ohne Beweise beharren sie darauf, dass ihr Partner sie betrogen hat.

Rechtfertigungen machen sie noch skeptischer. Wenn du beispielsweise deinem Partner erklĂ€rst, warum du spĂ€t nach Hause gekommen bist, schrillen die Alarmglocken. Egal was du sagst, es wird als AusflĂŒchte abgetan.

LĂ€sst du die VorwĂŒrfe dagegen unkommentiert stehen, fĂŒhlt er sich bestĂ€tigt.

Du hast keine Chance. Du kannst nichts tun, dass er dir vertraut.

Sicherlich gibt es viele Menschen, die schon einmal aus Neugier oder aus großer Angst vor einer Trennung auf dem Handy des Partners nach Hinweisen fĂŒr ein Fremdgehen gesucht haben.

Aber wenn ein Checken aller Nachrichten an den LebensgefĂ€hrten zur Routine wird, ist das ein deutliches Zeichen fĂŒr eine krankhafte Eifersucht und der Eifersuchtswahn ist nicht mehr fern.

Und teilweise kontrollieren die Betroffenen nicht nur das Handy und lesen sÀmtliche Kurznachrichten. Sondern sie sagen ihrer Partnerin auch, was zu gewagt ist und was sie anziehen darf, bevor sie das Haus verlÀsst.

Die Betroffenen verbieten direkt oder indirekt ihrem Partner, sich mit Freundinnen und Kollegen zu treffen. Tun diese es trotzdem, mĂŒssen sie sich anschließend heftigste VorwĂŒrfe gefallen lassen.

WORAN ERKENNT MAN DAS OTHELLO-SYNDROM?​

Der Betroffene glaubt fest daran, dass der Partner oder die Partnerin fremdgeht oder bald fremdgehen wird. Die Angst davor betrogen zu werden, wird dabei zu einer „Wirklichkeit“ versponnen, die jeden RealitĂ€tsbezug verloren hat. Die Ursache ist ein GefĂŒhl wie Verlustangst.

AffÀren, die es nicht gibt

Die Betroffenen haben zwar keinerlei anlassbezogene GrĂŒnde oder reale Beweise fĂŒr ein Fremdgehen, aber sie beharren unbeirrbar auf ihrer Wirklichkeit. Sie „wissen“, dass es stimmt.

Egal, was man sagt oder tut: Der Partner glaubt nicht und vertraut nicht. Auch die Beteuerungen von Freunden oder Familienmitgliedern, die nichts von AffÀren oder Fremdgehen wissen, zeigen keinerlei Wirkung.

Die am Ende oft hilflosen Beteuerungen des Gegenteils machen ihn noch skeptischer. Auf Gegenargumente reagieren sie hellhörig und befeuern die Wahnvorstellungen.

Wer resigniert und sich nicht gegen die bösartigen VorwĂŒrfe und Beschimpfungen wehrt, bestĂ€tigt die Untreue – in den Augen des eifersĂŒchtigen Partners.

Kontrollwahn​

Eifersuchtswahn ist auch Kontrollwahn. Die betroffenen Personen durchsuchen wie verrĂŒckt das Handy ihres Partners oder stöbern durch die Chronik des Browsers.
 
Wer allein mit Freunden ausgehen will, muss genau sagen mit wem wohin. Die Uhrzeit fĂŒr die RĂŒckkehr wird festgelegt. Und wehe, es wird spĂ€ter.
 
Manchmal dĂŒrfen die Partner die Wohung gar nicht verlassen und werden mit perfiden Tricks daran gehindert.
 
In den USA fand sich beispielsweise ein Paar vor dem Scheidungsrichter wieder, nachdem der Frau der Kontrollzwang des Mannes zuviel geworden war. Jeden Tag hatte er Kreide auf den Sohlen ihrer Schule angebracht, um so zu erkennen, ob sie das Haus verlassen hatte.
 
Ein sexy Outfit ist eine TodsĂŒnde in den Augen eines Menschen mit Eifersuchtswahn.
 

Wenn du auch nur im Ansatz bei diesen Beispielen an deine Beziehung denkst, sollten bei dir die Alarmglocken lĂ€uten und ernsthaft ĂŒber professionelle psychotherapeutische Hilfe nachdenken.

GewalttĂ€tigkeit​​

Menschen mit Othello-Syndrom haben oft eine Alkoholsucht oder sind an Depressionen oder anderen psychischen Störungen erkrankt. Das verstÀrkt ihre Wahnvorstellungen.
 
Da die Betroffenen vermeintlich betrogen werden, kocht in ihnen eine unbÀndige Wut hoch, die sich in GewalttÀtigkeit entladen kann.
 
SpĂ€testens jetzt muss ĂŒber psychologische Hilfe und eine Therapie nachgedacht werden. In einer solchen Beziehung sind es beide, die unter der wahnhaften Eifersucht leiden.

EIFERSUCHTSWAHN UND BEZIEHUNG?​

Solltest du als LebensgefĂ€hrte eines Betroffenen diesen Artikel lesen, ist vielleicht deine Beziehung und dein ganzes Leben von seiner psychischen Störung ĂŒberschattet. Deine GefĂŒhle fĂŒr ihn, deine Liebe. GewaltausbrĂŒche stehen an der Tagesordnung, TĂ€tlichkeiten ebenso.

Einfache und gutgemeinte Tipps, wie du dich verhalten könntest, bringen dein Leben nicht wieder in Ordnung. Menschen im Wahn leben in einem unzugÀnglichen Kokon.

Wer sich als Partner nicht den Forderungen des Betroffenen beugt, hat immensen Dauerstress. Wer sich beugt, dessen persönliche Handlungsfreiheit ist stark eingeschrÀnkt.

Das „Checking“ des eifersĂŒchtigen Partners muss man erst einmal aushalten können: Das Öffnen von eMails und Kurznachrichten. Das Durchscrollen des Facebook-Profils. Das DurchwĂŒhlen von Taschen, das Absuchen von Kleidung nach fremden Haaren. Möglicherweise den Privatdetektiv.

Es gibt Menschen, die das aushalten. Doch ist die Liebe tatsĂ€chlich so groß, dass man diesen mentalen Missbrauch ertrĂ€gt? Oder stecken andere – vielleicht sicherheitsrelevante, vielleicht masochistische – Motive dahinter, sich trotz aller EinschrĂ€nkungen nicht zu trennen?

Rechtfertigungsorgien

Mit einem „Othello“ ins GesprĂ€ch zu kommen, ist schwierig. Schließlich wird dieser Wunsch nach einem GesprĂ€ch als Ablenkungsmanöver verstanden.

Kaum hat man den Wunsch nach GesprÀch ausgesprochen, ist man wieder in der Rechtfertigung. Wieder muss man erklÀren, dass es nicht darum geht, eine AffÀre zu vertuschen. Zum x-ten Mal.

So hoffnungslos es klingt, aber fĂŒr die meisten Menschen bleibt nur der Notausgang Trennung.

Nicht jeder erlaubt es sich zu gehen, denn schließlich lĂ€sst man einen erkrankten Mensch zurĂŒck. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Aber vor die Hunde zu gehen ist sicherlich keine Alternative.

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Fallbeispiel

EIFERSUCHT DURCH SELBSTBEHERRSCHUNG​

Sonja war furchtbar eifersĂŒchtig auf ihren Mann, der einen kleinen Kreis von Freundinnen hatte, mit denen er sich in regelmĂ€ĂŸigen AbstĂ€nden traf. Mal in einer Pizzeria, mal machten sie lange SpaziergĂ€nge oder eine Radtour. Wenn Sonja ihre Eifersucht ansprach, lud ihr Mann sie ein: „Du kannst gerne mitkommen!“

Aber das kam fĂŒr sie nicht in Frage. Mit ihrem Mann und einer Freundin von IHM essen oder spazieren zu gehen – sie wĂŒrde sich deplatziert fĂŒhlen.

Seine Einladung war seine Art Sonja zu sagen, dass es keinen Grund gab, eifersĂŒchtig zu sein. Die Aussprachen ĂŒber ihre Eifersucht waren fĂŒr sie unbefriedigend kurz. 

Sie verstand ihren Mann nicht. Wenn er und sie zusammen waren, war es immer schön. Harmonisch. ErfĂŒllend. Sie fĂŒhlte sich an seiner Seite einfach wohl.
 
Deshalb gab es fĂŒr sie gar keinen Grund, zu anderen MĂ€nnern außerhalb der Ehe intensiven Kontakt zu haben. Wozu, fragte sie sich.
Als wir im Coaching ĂŒber ihre Eifersucht sprachen, stellte sich heraus, dass sie von ihrem Bekanntenkreis immer wieder angesprochen wurde, ob sie nicht hierhin oder dorthin mitgehen wĂŒrde.

Aber sie wollte nicht und sagte in der Regel ab. Sie blieb am liebsten mit ihrem Mann daheim – falls der daheim war.
In unserer 2. Sitzung fragte sie: „Warum kann er sich nicht auch mit mir begnĂŒgen? Das mach ich doch auch? Warum muss er andere Frauen treffen? Mir reicht doch auch ein Mann?!“
 
Hier offenbarte sie den Grund fĂŒr ihre Eifersucht. Sie lebte mit dem Glaubenssatz: „Man muss sich auch zurĂŒcknehmen können!“ – so wie sie es (vor-)lebte. Sie beherrschte sich, Kontakt zu anderen MĂ€nnern außerhalb der Ehe zuzulassen so wie es ihr Mann tat.

Und genau diese Selbstbeherrschung, die ihr erst im Coaching-GesprÀch bewusst wurde, projizierte sie auf ihren Mann, von dem sie erwartete, dass er sich genau so verhielt wie sie. 

Da ihre Erwartungen aber nicht erfĂŒllt wurden, wurde sie eifersĂŒchtig und streitbar. Sonjas Eifersucht ist ein gutes Beispiel dafĂŒr, wie unbewusste Gedanken auf einen anderen Menschen als Erwartungen ĂŒbertragen werden.

Erst wenn wir sie kennen, können wir sie loslassen.

LÄSST SICH DAS OTHELLO-SYNDROM HEILEN?​

Bei dem Othello-Syndrom handelt es sich nicht um Marotte des Gehirns, sondern um eine Psychose, die oft mit Depressionen oder Suchtkrankheiten einhergeht.

Man sollte diese schwere Form von Eifersucht also ernst nehmen und bei einer psychotherapeutischen Behandlung Hilfe suchen. Doch leider wollen sich die Betroffenen nicht eingestehen, dass die AffÀren ihrer Partner eingebildet sind. Und so riskieren sie das, woran ihnen so viel liegt: an der Beziehung mit genau diesem Menschen, der ihnen so viel bedeutet und der sie angeblich immer wieder enttÀuscht.

Zu Beginn kann der Betroffene noch versuchen, seine eifersuchtsgesteuerten Handlungen zu meiden: UnbegrĂŒndete VorwĂŒrfe und Beleidigungen des LebensgefĂ€hrten zu unterlassen und das Kontrollieren dessen persönlicher Sachen.

Wenn sich der Erkrankte noch im Griff hat und diese Dinge steuern kann, gibt es eine kleine Chance, ohne Behandlung von dieser wahnhaften Störung loszukommen.

Psychotherapeutische Behandlung​

Bei schwereren Formen muss eine Psychotherapie in Anspruch genommen und eventuell Medikamente hinzugezogen werden, um der betroffenen Person zu helfen und gegebenenfalls die Beziehung zu retten. Tipps gegen Eifersucht reichen hier kaum.

Entscheidend fĂŒr den Therapieerfolg ist letztlich auch die AusprĂ€gung der Symptome. Als Methoden kommen vertrauensstĂŒtzende GesprĂ€che und Psychotherapie in Frage.

In der Psychotherapie wird versucht, das SelbstwertgefĂŒhl des Patienten zu stĂŒtzen oder es werden VerlustĂ€ngste aufgearbeitet, die in der Kindheit entstanden sind.

Sollte der Eifersuchtswahn von Alkoholismus oder einer anderen Sucht begleitet werden, muss der betroffene Patient bei der Behandlung auch begleitend entwöhnt werden.