Schlechtes Gewissen

So geben wir unsere Verantwortung ab.

Sobald uns ein schlechtes Gewissen gemacht wird, wollen wir, dass der Verursacher damit aufhört. Doch anstatt die Verantwortung für unser Wohlbefinden an den anderen abzugeben und in seiner Abhängigkeit zu bleiben, sollten wir unsere negativen Glaubenssätze loslassen. Erst dann leben wir wirklich frei.

Ein schlechtes Gewissen haben

Yvonne kommt in mein Coaching wegen ihrer Beziehung, die schon seit langer Zeit unglücklich verläuft. Sie fühlt sich respektlos behandelt und bedrängt. Sie sagt, ihr Partner sei übergriffig, verlange viel von ihr und sie fühle sich von ihm manipuliert.

Sie kommt immer wieder drauf zu sprechen, dass er ihr ein schlechtes Gewissen einredet, um sie weich zu kochen. Er macht ihr dabei immer wieder Vorwürfe für ihr Verhalten oder ihre Pläne, so dass sie am Schluss oft wegen ihrem schlechten Gewissen nachgibt.

Als Beispiel nennt sie einen Tagesausflug mit einer Freundin. Sie hatte diesen Ausflug schon lange angekündigt. Gleich zu Beginn der Beziehung hatte sie ihm gesagt, dass sie immer wieder eine „Auszeit“ mit Freundinnen bräuchte und er hätte gesagt: „Kein Problem. Kann ich verstehen. Brauch ich auch!“ 

Aber seit Kevin von dem Tagesausflug weiß, nörgelt er an ihr rum und macht ihr ein schlechtes Gewissen.

Er solle aufhören an ihr rumzunörgeln, mit diesem ständig schlechtem Gewissen wolle sie Kevin gar nicht mehr sehen, fühle sich auch nicht richtig geliebt und könne sich schon gar nicht auf ihren Ausflug freuen.

Die Verantwortung abgeben

Das ist der Punkt, an dem ich einhake. Dass ich ihren Lebensgefährten Kevin nicht ändern kann, versteht sie sofort. Sie wolle ihn auch nicht ändern, er solle ihr nur kein schlechtes Gewissen machen.

„Aber“, lenke ich ein, „wenn er dir kein schlechtes Gewissen machen soll, dann muss er sich ja ändern?!“ 

Natürlich ist das keine Rundumerneuerung, aber es verlangt eine Verhaltensänderung. Wird Kevin auf sie eingehen? Wohl kaum, denn schließlich zeigt er ihr ständig, wie wichtig es ihm ist, wenn sie daheim bleibt.

Es geht ihm ja nicht darum, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen.

Aber so wie Yvonne handelt und was sie von ihm verlangt, geht es vielen von uns. Wir geben die Verantwortung für unser Leben und unser Wohlbefinden an andere ab – ohne es zu merken. Und das in vielerlei Hinsicht:

Beispiele, wie Verantwortung abgegeben wird.

Petra wünscht sich von ihrem Partner, dass er von sich aus mehr auf sie zukommt, mehr ihre körperliche Nähe sucht, mehr ihre Gegenwart. Dass er ihr mehr Aufmerksamkeit schenkt. 

Und warum soll er das tun? Weil sie sich nicht traut, ihr Bedürfnis zu zeigen. Und warum traut sie sich nicht? Weil sie ihren Glaubenssatz: „Ich darf mich nicht aufdrängen!“ noch nicht bearbeitet und losgelassen hat.

Uwe wünscht sich mehr Wertschätzung von seiner Partnerin Martina, weil er sich nicht traut, sich selbst wertzuschätzen. Und darum traut er sich das nicht? Weil er das Wertschätzen der eigenen Person nach wie vor mit Selbstgefälligkeit verwechselt. So wie es ihm sein Vater beigebracht hat.

Till erwartet von seiner Freundin, dass sie sich klipp und klar äußert, was sie von ihm erwartet. Und warum will er eine klare Kante? Weil er selbst gar nicht weiß, was er von ihr will. Er erträgt dieses oft vage und schwammige Beisammensein kaum.

Dass wir ein schlechtes Gewissen haben, hängt weniger mit den äußeren Umständen zusammen, sondern mit unseren Glaubenssätzen

Verantwortung und schlechtes Gewissen

Anstatt die Sachen für uns zu klären, projizieren wir unser Unvermögen auf den Partner, von dem wir erwarten, dass er es für uns richtet.

Im Falle von Yvonne ist es ihre Unsicherheit hinsichtlich ihrer Entscheidungen. Sie will diese Unsicherheit nicht spüren – als schlechtes Gewissen – und erwartet von Kevin, dass er sie kommentarlos gewähren lässt.

Anstatt für unser Wohlbefinden aktiv zu werden, soll der Partner sich etwas ändern.

Allein dieser nie geäußerte Gedanke „Kevin sollte mir kein schlechtes Gewissen machen“ macht sie passiv und bringt neben dem schlechten Gewissen auch noch das Gefühl, dass er sie nicht liebt und kein Interesse an ihr hat.

In den allermeisten Fällen ist sich jeder der nächste. Das gilt auch für die, die es betonen, wie sehr ihnen das Wohl der anderen am Herzen liegt. Ihre Wohlfühl-Maschinerie heißt „Immer-für-andere-Dasein“. 

Auch Kevin denkt erst einmal an sich. Er will Yvonne – aus welchen Gründen auch immer – bei sich haben oder sie unmittelbar kontrollieren können. Wie sollte er auf die Idee kommen, das zu ändern? Yvonne wird noch Jahre warten müssen, …

Auf der anderen Seite will sie nichts an sich ändern. Kevin soll sich ändern. Er soll ihr kein schlechtes Gewissen mehr machen. 

Yvonne gibt die Verantwortung für ihr Wohlbefinden an Kevin ab. Das Tragische daran: Sie sagt es ihm nicht, aber sie erwartet es von ihm – heimlich.

„Er soll mir kein schlechtes Gewissen machen!“ Warum? Weil ein schlechtes Gewissen doof ist? Nein, weil sie nicht daran erinnert werden will, dass sie nicht zu 100 Prozent zu ihrer Entscheidung Tagesausflug steht.

Was kann sie statt dessen tun?

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Negative Glaubenssätze und schlechtes Gewissen

Sie kann an ihren Glaubenssätzen arbeiten – womit wir auch in dieser Coachingstunde beginnen. Es stellt sich heraus, dass ihr Kopf ein Doppelleben führt. 

Auf der einen Seite verkörpert sie ihren Anspruch auf Selbstständigkeit als moderne Frau, die ihre Frau steht, und auf der anderen Seite schlummern im Hintergrund noch die Glaubenssätze ihrer Eltern, bei denen die Frau eher eine nebengeordnete Rolle spielt und ihr Leben der Karriere des Mannes unterordnet wird.

Und genau das macht ihr das schlechte Gewissen. Nach außen kann sie Kevin gegenüber zu ihrem Tagesausflug stehen, aber unterbewusst stellen der Vater und die Mutter ihre Entscheidung ganz leise in Frage. Aber laut genug, dass Kevin bei ihr ein schlechte Gewissen erzeugen kann.

Als es uns gelingt, diese Glaubenssätze auszugraben und zu bearbeiten, kann sie das schlechte Gewissen loslassen und selbstbewusster Kevin gegenübertreten.

Sie sieht auch, dass es nicht ihre Angelegenheit ist, von Kevin bestimmte Dinge zu erwarten, die nicht seinem Naturell entsprechen. Aber es ist ihre Angelegenheit, es ist ihr Job, für sich zu sorgen und den Kopf frei zu kriegen von all dem alten Kram, den alten Glaubenssätzen und Überzeugungen, die ihr das Leben schwer machen.

Wenn wir ein schlechtes Gewissen haben, können wir uns anschauen, welche Gedanken und Glaubenssätze dahinter stecken – und diese dann Schritt für Schritt loslassen.

Mit dieser Arbeit übernehmen wir wieder die Verantwortung für uns selbst und bürden diese Verantwortung nicht anderen Menschen auf, die wir vielleicht noch mit Liebesentzug bestrafen, wenn sie unsere heimlichen Wünsche nicht erfüllen und unsere Enttäuschungen immer größer werden.

Auch Yvonne hat mit der Bearbeitung ihrer Glaubenssätze die Verantwortung für sich und ihr Wohlbefinden übernommen und muss nicht länger von Kevin erwarten, dass er ihr kein schlechtes Gewissen macht. Ihr Leben wird authentischer als es vorher war.