Warum Loslassen so schwer ist

Angst vor dem Unbekannten: Die Hürde des Loslassens

Wenn wir bestimmte Menschen oder Situationen aus der Vergangenheit loslassen wollen, in denen wir unglücklich waren, dann gelingt uns das trotz vieler Tipps und Ratschläge oft nicht. Es gelingt uns deswegen nicht, weil wir versuchen, die „Person“ oder die „Situation“ loszulassen. Die aber kann man beim besten Willen nicht loslassen, sondern nur die Gedanken über sie. Darum ist es so schwer loszulassen. Wir packen es falsch an.

Um die Schwierigkeit loszulassen einfach zu erläutern, stell dir vor, du willst eine Person loslassen. Es kann ja nicht so schwer sein, denkst du vielleicht, EINE Person loszulassen.

Aber mit dieser einen Person hängt ganz viel zusammen: Freunde, Bekannte, Familie, Beruf, Geld, Freude, Leid, Erfüllung, Verletzungen, Vergangenheit, Zukunft usw.

Ohne uns dessen bewusst zu sein, denken wir an die vielen Konsequenzen, wenn wir loslassen würden. Den Menschen loszulassen wäre schön, aber was ist mit all den unabsehbaren Folgen?

Diese vielen Konsequenzen erschweren uns das Loslassen. Erst wenn es uns gelingt, all diese Konsequenzen zu sondieren und die Gedanken, Sorgen und Befürchtungen dahinter aufzudecken und zu bearbeiten, können wir jemanden gehen lassen.

Innere und äußere Nähe

Bevor ich weiter ins Detail gehe, müssen wir eine grundsätzliche Überlegung anstellen um besser zu verstehen, warum Loslassen so schwer ist.

Es gibt Menschen in unserem Leben, die wir selten sehen – die aber in unserer Seele sehr präsent sind. Im Herzen und im Verstand. Beispielsweise gute alte Freunde aus der Schule oder dem Studium, die mittlerweile woanders leben, zu denen wir aber immer noch Kontakt haben. Wenn auch selten.

Andere wiederum „tanzen“ zwar ständig um uns herum – wie etwa Arbeitskollegen -, aber sobald sie aus unseren Augen verschwinden, nach der Arbeit, sind sie auch schnell aus unserem Sinn.

Die physische Anwesenheit eines Menschen ist also keine Garantie, dass uns ein Mensch nah ist. Genauso gut kann uns ein Mensch sehr nah sein, der in der Ferne lebt. Ich spreche aus Erfahrung: Meine Partnerin lebt in Hamburg, ich in Horb bei Stuttgart.

Emotionale Nähe oder Distanz ist also keine Frage physischer Präsenz, sondern ob wir uns ein inneres lebendiges Abbild von der Person schaffen können oder nicht.

Nähegefühl durch unsere Gedanken

Unser Hirn produziert ständig Bilder von den Personen, die uns wichtig sind, oder von Situationen, die wir erlebt haben und die uns wichtig waren. Oder auch von Situationen, die wir noch erleben werden. Die Zukunft malen wir uns aus, als würde sie definitiv so stattfinden, wie wir sie uns vorstellen.

Manchmal tun wir so, also würde unsere Zukunft genauso passieren, wie wir sie uns vorstellen. Aber nicht die Zukunft ist „sicher“, sondern unsere Gedanken über sie.

All unseren inneren Bilder, all unsere Vorstellungen und Urteile über die Welt und die Mitmenschen, an dir wir uns erinnern, haben für uns eine Bedeutung, im Guten wie im Schlechten. Wir produzieren nur Erinnerungsbilder oder Zukunftsaussichten, die eine gewisse Bedeutung für uns haben. 

Alles andere – das Neutrale – vergessen wir ganz schnell und verschwindet für immer.

Dieser Sachverhalt zeigt, warum loslassen so schwer ist. Wir wollen Dinge oder Menschen loslassen wie Gegenstände, die wir fallen lassen. Leider gibt es auch den Spruch: „Wer loslässt, hat zwei Hände frei!“ Diese Redensart verleitet uns zu der Vorstellung, als müsste man zum Loslassen nur die Hände öffnen …

Kein Wunder, dass dem ein oder anderen das Loslassen schwer fällt.

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Gedanken loslassen

Den Nachbarn, der uns immer nur unpersönlich gegrüßt hat, haben wir ganz schnell vergessen, sobald er weggezogen ist.

Den Nachbarn, der stets seine Musik und seinen Fernseher zu laut aufgedreht hatte, bleibt in unserer Erinnerung.

Und einen geliebten Menschen, den wir in unser Herz geschlossen haben, kann gar nicht so weit weg wohnen, dass wir ihn vergessen könnten.

Nun könnte man glauben, dass wenn es nur Gedanken sind, die wir loslassen müssen, dann kann es ja nicht so schwierig sein. Denkste! Es ist immer noch schwer, aber warum?

Ins Gehirn eingebrannt

Stell dir vor, du bringst dir selbst das Klavierspielen bei. YouTube Videos helfen dir dabei. Du entwickelst eine Technik, die einerseits gut funktioniert, aber andererseits stößt du immer wieder an bestimmten Stellen verschiedener Stücke an deine Grenzen.

Du lässt dich nicht verunsichern, lernst immer weiter und weiter und ignorierst diese Schwierigkeiten und Grenzen. „Man muss ja nicht alles können!“ denkst du, „ich will ja kein Starpianist werden!“

Doch eines Tages packt dich der Ehrgeiz. Du gehst zu einem Klavierlehrer, der erst die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und dir anschließend eine Spieltechnik zeigt, mit der du spielend über schwierigen Passagen und Läufe hinwegkommst.

Diese neue Technik dir ab jetzt zu trainieren tut fast schon weh.

Du hast dir über Monate hinweg eine falsche Technik beigebracht, die du nicht von heute auf morgen eliminieren kannst. Auch dann nicht, wenn du weißt, wie es besser geht. Es ist knüppelharte Arbeit, die einige Zeit dauern kann.

Es ist deshalb so mühsam, weil dein altes „Spielverhalten“ in dein Gehirn eingebrannt ist und sich verfestigt hat. Du musst gegen deine Gewohnheit anspielen. Gegen dein Muskelgedächtnis und gegen das Steuerungsgedächtnis deines Hirns.

Loslassen verinnerlichen

Alles, was wir gut können, haben wir verinnerlicht. Auch Gedankengänge haben wir verinnerlicht. Eine bestimmte Art und Weise zu denken haben wir verinnerlicht. Die Art, wie wir schlussfolgern, wie wir etwas (uns selbst) erklären; auch das haben wir verinnerlicht.

Wir haben uns bestimmte Gedanken antrainiert.

Das ist der Grund, warum loslassen so schwer ist.

Erst müssen wir alte Gewohnheiten abbauen, dann müssen wir das Loslassen verinnerlichen.

Vom Trampelpfad zur Schnellstraße

Alle ersten Versuche, neu und anders zu handeln als wir es kennen, fangen im Hirn mühsam mit einem kleinen „Trampelpfad“ an. Das Hirn muss erst einmal einen Weg finden, das umzusetzen, was wir wollen. Aus diesem ersten Trampelpfaden wird durch Wiederholung ein Weg und später – nach vielen Monaten des Trainings und des Übens – eine Schnellstraße, wo viele Informationen ganz leicht und ohne energetischen Aufwand dahinrasen.

Wenn am Ende dieser Schnellstraße ein Mensch steht, den du – aus welchen Gründen auch immer – loslassen willst, fließen die Informationen, deine Gedanken, deine Bilder usw. immer noch über diese Schnellstraße und fallen am Ende der Straße „über die Klippe“. Das tut weh.

Wenn du einen Menschen loslassen willst, der in dir schon seine Schnellstraße hat, dann kannst du ihn nicht einfach beiseite legen wie eine Spielkarte mit seinem Porträt.

Du musst ihn aus dem (Straßen-)Netz all deiner gedanklichen Verbindungen mit dir herauslösen.

Diese Verbindungen – du ahnst es – sind deine Gedanken über diese Person. Die Schnellstraße, über die deine Gedanken über diese Person rauschen.

Gefühle und Emotionen

Wie du oben gelesen hast, spielt es keine Rolle, ob jemand nah oder fern von dir lebt. Wichtig ist die emotionale Nähe – und die findet in deinem Körper statt. Im Kopf, der immer wieder Bilder von dieser Person aufpoppen lässt und das Herz schmerzen oder freuen lässt.

Ob du willst oder nicht: über diese Schnellstraße rauschen deine Gedanken über die einst geliebte Person. Sie reißen deine Gefühle und Emotionen mit. Diese Schnellstraße ist da, sie will befahren werden. Sie kann nicht einfach nur veröden. Schön wär’s, dann würde Loslassen nicht so schwer fallen.

Erst die Gedanken loslassen, dann die Menschen.

Ekke Scholz

Loslassen kannst du eine Person nur dann, wenn du an an dieser Schnellstraße arbeitest: Wenn du sie verengst oder erste kleine Abzweigungen einbaust, damit deine Gedanken auch mal andere, neue Wege einschlagen kann.

Erst gehen die Gedanken, dann geht die Person.

Die meisten Menschen wollen erst die Person loslassen und hoffen, dass sie dann nicht mehr an die Person denken.

Im Grunde genommen zäumen sie das Pferd von hinten auf und wundern sich, dass das Loslassen nicht klappt.

Wie loslassen wirklich gelingt

Loslassen ist ein Lernprozess und keine einmalige Handlung. Wie wir bei dem Beispiel mit dem Klavierspiel gesehen haben, muss man sich nicht nur neue Fingerbewegungen angewöhnen, sondern „arbeitet“ auch noch gegen das, was man sich falsch antrainiert hat.

Das ist viel schwerer als „nur“ etwas Neues zu lernen.

Wenn du loslassen lernen willst, dann untersuche deine Beziehung zu dem, was du loslassen willst. Hinterfrage deine Glaubenssätze über die Dinge, über deine Beziehung. Was denkst du über dich und dein Leben? Notiere es.

Eine Art, schreibend die Reise nach innen anzutreten, ist das organische Schreiben. In meinem NotizBlog findest du Tipps über das automatische Schreiben, wie es am besten gelingt.

Loslassen will gelernt sein

Loslassen lernen ist nichts für Menschen, die „mal eben“ loslassen wollen. Keiner kann am Wochenende „mal eben“ mit dem Staubwedel durch sein Gehirn gehen und von verstaubten Gedanken befreien, kann nicht „mal eben“ sein Hirn aufräumen und alles entsorgen sprich loslassen, was er nicht mehr braucht oder nicht mehr will: Personen, Tiere, Gegenstände.

Loslassen ist ein Ver-ARBEIT-ungsprozess des Verstandes. Wir können ihn nicht einfach überspringen. Wie heißt es so schön: Man kann nicht am Gras ziehen, damit es schneller wächst!

Persönliche Entwicklung

Aber sich diese Arbeit zu machen lohnt sich. Und es geht ja nicht nur darum, hier mal einen geliebten Menschen loszulassen und dort einen missratenen Urlaub, sondern es ist eine Frage der persönlichen Entwicklung.

Es ist auch eine Frage der Einstellung zum Leben. Ich finde das Leben sehr dynamisch. Es unterliegt einem ständigen Wandel. Das einzig Konstante ist der Wandel.

Ist das gut so? Ist es schlecht? Weder noch. So ist das Leben – und nicht nur das Leben der Natur.

Wenn wir versuchen, den Wandel aufzuhalten, ist es so, als würden wir uns an einen Fluss stellen und ihm zurufen: „Bleib stehen!“ 

Leider versuchen wir es genau so und bemerken gar nicht, wie absurd wir uns verhalten.

Ich selbst erlebe mich – mittlerweile – als sehr wandelbar. Im Kleinen wie im Großen. Ich habe mehrere Berufe ausgeübt, ohne es wirklich anzustreben, und ich habe täglich unterschiedliche Impulse, denen ich folge. Wenn ich mir am Morgen etwas für den Nachmittag vornehme zu tun, heißt das nicht, dass ich am Nachmittag genau das tun werde.

Es hat sich in mir etwas geändert – und ich kann dir nicht sagen, welche vielen kleinen Ereignisse zu dieser Änderung beigetragen haben. Mittlerweile fällt es mir sehr leicht, meine Vorsätze loszulassen. Ich hänge nicht an ihnen. Vorsätze sind auch nur Gedanken …

"Hauptsache festhalten"

Viele Menschen wollen verlässlich und berechenbar sein. Für sich und andere. Sie hinterfragen ihre Vorsätze gar nicht mehr, ob sie noch stimmig sind für ihr Leben. Hauptsache festhalten. Hauptsache verlässlich sein. Auch deshalb ist Loslassen so schwer.

An dieser Stelle will ich nicht mehr Unzuverlässigkeit propagieren, sondern vielmehr will ich anregen, nicht aus Prinzipienreiterei am Festhalten festzuhalten.

Glaubenssätze sind auch ein Grund, warum Loslassen so schwierig ist. Wenn wir mit den Glaubenssatz leben,

  • man darf nicht unzuverlässig sein,
  • man darf nicht gleich die Flinte ins Korn werfen
  • man muss auch mal die Zähne zusammenbeißen –

dann fördert das eine geistige Kultur des Festhaltens und nicht des Loslassens.

Loslassen ist offensichtlich auch deshalb so schwer, weil es gegen unsere abendländische Einstellung verstößt. Wir lassen die Dinge nur ungern laufen und begrenzen sie gern. Sei es der Garten, den wir einzäunen, sei es der Rasen, dessen Wachstum wir begrenzen, sei es die Lebendigkeit unserer Kinder, die wir am liebsten auf das Kinderzimmer begrenzen. Seien es unsere Gedanken, die immer die gleichen sind und die wir „als unsere Einstellung“ gebetsmühlenartig anderen Menschen um die Ohren werfen.

Begrenzen ist festhalten.

Statt die grenzenlose Weite und lebendige Möglichkeiten des Chaos zu suchen, formiert sich unser Geist zu einem kleinkalibrigen Gewehr, mit dem wir Ordnung schaffen und andere Menschen in unsere Ordnung hineinzwingen.

Unser ganze Art und Weise zu denken ist überhaupt nicht dafür gemacht, loszulassen.

Wenn du loslassen lernen willst, stell deine ganze Art zu denken in Frage. Überprüfe jeden einzelnen deiner Glaubenssätze. Und natürlich musst du das nicht alles auf einmal machen. Gedanke um Gedanke. Alles zu seiner Zeit.

Eines der besten Tools, seine Gedanken und Glaubenssätze zu hinterfragen ist The Work of Byron Katie. Wer sich auf diese Methode einlässt, kann rasch loslassen und fragt sich im Rückblick auf seine Geschichte, warum Loslassen einmal so schwer war.