Seine Lebensgeschichte umschreiben

Neubeginn mit Herz: Wie Du Deine Lebensgeschichte neu schreibst.

Wer seine Lebensgeschichte schreiben möchte, hat auch die Chance, sein Leben neu zu schreiben. Die eigene Vita, die man sich und anderen immer wieder erzählt, ist ja auch nur eine ständige Wiederholung eigener Gedanken und eine ständige Bestätigung zweifelhafter Erinnerungen.

Lass mich mit der Tür ins Haus fallen: Deine ganze Lebensgeschichte, deine Vergangenheit und auch deine Zukunft passiert in einem einzigen Augenblick: JETZT.

Klingt im ersten Moment verrückt, ist es auch, wenn man es noch nie gehört hat. 

Ich beschreibe in diesem Artikel, warum das so ist.

Das Verständnis für einen anderen Blick auf deine Lebensgeschichte ist für dich nur dann relevant, wenn du unzufrieden bist mit deinem Leben. Wenn du etwas ändern möchtest und es schon oft versucht hast, aber immer wieder in alte Gewohnheiten zurückfällst – es ist, als wäre es unmöglich, sich zu ändern. Seine Lebensgeschichte umzuschreiben. Wir hängen an einem Gummiband, das uns immer wieder zurückzieht.

Unsere Biografie ist identitätsstiftend und ruckelt uns immer wieder zurück in die Spur. Wir wollen manchmal ein anderes Leben, oder Teile unseres Lebens dürften anders sein, ohne dass wir gleich unsere Identität aufgeben wollen.

Wie das Hirn tickt​

Wenn du dir bewusst wirst, dass deine Lebensgeschichte immer nur eine Erfindung deines Geistes ist, dann wächst deine Bereitschaft, Veränderung zuzulassen.

Damit dir das gelingt, ist es hilfreich du wissen, wie dein Hirn grundsätzlich tickt.

Eine weit verbreitete Vorstellung von der Arbeitsweise unseres Gehirns ist die, dass es uns wie ein Art Kommentator unser Leben aus dem Off erklärt. Doch welche Gestaltungsmöglichkeiten haben wir bei dieser Vorstellung? Wie sieht es mit Selbstwirksamkeit aus, die uns das Gefühl gibt, unser Leben eigenständig gestalten zu können?

Der Schwimmwettkampf

Ich bin zwar auf meiner Homepage als Coach unterwegs, der den Hilfe-Hebel bei den Denkprozessen ansetzt, aber manchmal braucht es gar keine effektive Methode oder ein Coaching. Manchmal reicht es, über etwas nachzudenken und zu hinterfragen, ob alles so war, wie man erlebt hat.

Das, was ich hier beschreibe, ist übrigens auch ein Beispiel dafür, wie man durch einen „Perspektiv-Wechsel“ seine Vergangenheit umschreiben kann.

Ich hatte es jahrelang meinem Vater übel genommen, wie er eine unschöne Situation meiner Kindheit der Verwandtschaft erzählt hat:

Als 9-jähriger schwamm ich bei einem Wettkampf mit. Schwimmen war nicht meine Stärke. Das wusste ich. Das wussten alle. Um das noch zu bestätigen, erzählte er gern von dem Wettkampf, bei dem ich weit abgeschlagen den anderen hinterher schwamm, bis mich alle aus den Augen verloren hatten.

Die nächste Wettkampfgruppe stand schon auf den Blöcken. Der Mann mit der Trillerpfeife wollte schon zum Start pfeifen, als einer aus dem Zuschauerreihen rief: „Halt halt, da schwimmt noch einer!“ und zeigte auf mich.

Mein Vater lachte, meine Verwandten lachten, alle lachten. Nur ich nicht.

Seine Erzählung traf mich jedesmal aufs neue und nagte an meinen Liebe zu ihm massiv.

Das dauerte fast 50 Jahre, bis ich endlich darüber nachdachte, ob das überhaupt so gewesen sein konnte. Der Wettkampf hatte in einem Schwimmbad stattgefunden. 25-Meter- oder 50 Meter-Bahn? Ich weiß es nicht mehr. Aber selbst bei einer 50 Meter-Bahn geht kein Schwimmer „verloren“. Die Zuschauer haben die Schwimmer im Blick, und die Zeitnehmer sowieso.

Ich begriff nach 5 Jahrzehnten, dass mein Vater übertrieben hatte, um seine Erzählung mit Humor zu würzen. Nach 5 Jahrzehnten konnte ich aufhören, es ihm Übel zu nehmen.

Heute bin ich sogar froh, dass er es so erzählt hat wie er es tat. Durch die eher humorvolle Erzählung blieb mir ein „Letzter?! Du Armer!“ der Verwandtschaft erspart. Danke, Vati.

Dass dein Verstand aber dieses Leben um dich herum selbst konstruiert, das erzählt es dir nicht. Er gibt sich unschuldig. Er ist nur Beifahrer. Unfall gehabt? Der Beifahrer hebt unschuldig die Hände.

Und damit sind wir wieder da, wo wir angefangen haben: Deine ganze Lebensgeschichte, deine Zukunft und deine Vergangenheit, sind JETZT. Du bist Fahrer, aber fühlst dich als Beifahrer. Deine Lebensgeschichte sind die Gedanken, die dein Gehirn über dein Leben ausspuckt.

Erdachte Zukunft​

Dass die Zukunft von dir erdacht wird, ist leicht nachvollziehbar. Jeder weiß, dass keiner die Zukunft vorhersehen kann. Wir können zwar versuchen, sie ein bisschen in eine bestimmte Richtung zu schieben, die für uns positiv ist und zu unseren Gunsten verläuft. Aber wir sind nicht die einzigen. Es gibt viele Menschen, die alle zur gleichen Zeit das Gegenteil erreichen wollen und versuchen, die Zukunft nach ihren Vorstellungen zu pushen.

Es wirken also viele Kräfte in viele verschiedene Richtungen. Das kann nicht gut gehen – zumindest nicht immer zu unseren Gunsten. Dem Leben, sprich der Zukunft ist es egal, welche Richtung sie nimmt.

Wir haben die Zukunft nicht wirklich in unserer Hand. Alles, was wir von der Zukunft „wissen“, wissen wir in Form von Gedanken. Glaubenssätze schüren Gewissheit. Wünsche und Hoffnungen würzen die Zukunft. Aber Versprechen, die wir nicht halten können, erinnern uns immer wieder daran, dass Zukunft ein Eigenleben hat.

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Bedeutungen machen deine Lebensgeschichte​

Erich Kästner hat einmal gesagt, dass es nie zu spät ist für eine schöne Kindheit. Recht hat er. Aber wie kann er recht haben und wie kann ich behaupten, dass deine Lebensgeschichte immer im JETZT stattfindet?

Meine These ist die, dass Vergangenheit, so wie wir sie erleben, zu 95 % aus Gedanken besteht und der Rest sind Tatsachen. Ein verschwindend geringer Anteil. Deine Gedanken über dein Leben sind deine Lebensgeschichte. Ich will das an einem Beispiel plausibel machen.

Eine Ohrfeige – Tatsache und Bedeutung​

Mal angenommen, du hast als Kind von deinem Vater eine Backpfeife bekommen. Die tat weh, die Wange hat gebrannt – aber noch viel schlimmer als der physische Schmerz war die seelische Verletzung. Die Kränkung. Dass der Mensch, den du liebst, dich schlägt! Dich erniedrigt! Und demütigt!

Was von dieser Situation bleibt übrig bis zum nächsten Tag? Die Schmerzen an der Wange dürften wohl abgeklungen sein. Trotzdem tat es noch weh, wenn du zurückdenkst. Wichtig: Denkst!

Hättest du dich am Tag vorher vielleicht an einem Tisch gestoßen, dann bleibt ein blauer Fleck. Mehr nicht. Und vielleicht hättest du dich am nächsten Tag gar nicht mehr richtig erinnern können. Es war ein Versehen und es hatte für dich keine Bedeutung.

Aber die Backpfeife: die vergisst du nicht so schnell! Da steckt viel zu viel Kränkung dahinter. Gefühle fluten dich: Wut! Traurigkeit! Und die Angst, es könnte wieder passieren. Vielleicht etablieren sich in diesem Moment Glaubenssätze wie „Ich kann nichts tun!“ – „Mit mir kann man es ja machen!“; Glaubenssätze, die deine Identität prägen.

Diese Ohrfeige nimmst du mit als einen Teil deiner Lebensgeschichte. Eine emotionale aufgeladene Episode, die aus Gedanken, sprich Erinnerungen und „passenden“ Gefühlen besteht.

Es nie zu spät ist für eine schöne Kindheit.

Erich Kästner

Dieser Teil deiner Lebensgeschichte wiederholt sich Tag um Tag als Erinnerung, sprich Gedanken. Gedankenschleifen festigen sie Situation als emotionalen Meilenstein deiner Biografie. Und du glaubst es immer mehr, dass es so und nicht anders war. Du „glaubst“ dir deine Gedanken. Heute. Jetzt. In dem Moment, in dem du dich erinnerst.

Erinnerungen sind sich wiederholende Gedanken, die du in der Gegenwart hast. Es fühlt sich an, als würden wir mit den Gedanken in die Vergangenheit wandern, aber in Wahrheit bleiben wir in der Gegenwart mit unserer Erinnerung. Wenn du einmal diese Erfahrung machen möchtest, dann beobachte doch einmal deine Gedanken …

Dynamische Erinnerung

Gedankenspiel: Nehmen wir einmal an, dein Vater erzählt die Geschichte, für die es keine Zeugen gab, anders als du. Nicht böswillig, sondern weil er es anders in Erinnerung hat. Er hat dir damals – so erzählt er es – keine Backpfeife gegeben, sondern dich am Ohr gezogen. Unsanft, ja, aber es war keine Backpfeife.

Und weiter angenommen, du stirbst vor deinem Vater und nimmst deine Gedanken und deine Version von dieser Bestrafung mit ins Grab, während dein Vater die Geschichte weiter vom Ohrenziehen erzählt.

Was ist dann noch deine Geschichte? Wo ist dann noch deine Vergangenheit?

Erinnerung sind Gedanken, die sich im Laufe der Zeit verändern. Erinnerung ist dynamisch, was immer wieder zu zwischenmenschlichen Problemen führt. Unsere Glaubenssätze formen sie so, dass das Erinnerte zu uns passt und nicht unser Leben durcheinander bringt. Und doch spüren wir ihre Enge und wollen manche Glaubenssätze loslassen.

Deine Lebensgeschichte ist ein ständiges Nachladen von Gedanken, die sich Erinnerung nennen, und Gefühlen, die die Situation mit „Körperlichkeit“ anreichern und die Erinnerung „wahr“ machen.

Vergangenheit ist kein „Es war einmal!“, sondern ein äußerst lebendiger Vorgang in der Gegenwart. Begleitende Gefühle machen ihn lebendig und lassen weit zurückliegende Situationen gegenwärtig wirken: Als wäre es gestern passiert!

Unsere Vergangenheit ist genauso erdacht wie unsere Zukunft.​

Die Frage ist also immer auch: Was macht es mit mir eigentlich, wenn ich diesen oder jenen Gedanken habe? Welche Gefühle werden ausgelöst, welche Empfindungen? Welche weiteren Gedanken poppen auf?

Wenn du weißt, dass deine Lebensgeschichte, die einzelnen Episoden und jede einzelne Situation ein Produkt deiner Gedanken ist, dann kannst du die Knackpunkte deiner Lebensgeschichte in Frage stellen: War es wirklich so, wie ich es mir denke? Wir hätte ich auch anders reagieren, anders denken können?

Ein Beispiel aus meinem Leben​

Gern erzähle ich von einer eigenen Erfahrung, wo ich einen Aspekt meiner Lebensgeschichte umgeschrieben habe. 

Das Ereignis, dass ich viele Jahre mit mir herumtrug, ereignete sich in den 1980er Jahren, meiner Studentenzeit. Mein Vater war Dozent an der Uni Köln, und ich wollte ihn unbedingt einmal in einer Vorlesung erleben.

Ich fuhr mit der Bahn zur Uni und während der Fahrt merkte ich, dass ich es nicht pünktlich schaffen würde. Das verursachte mir Stress, weil meinem Vater Pünktlichkeit sehr wichtig war und noch ist.

Ich hoffte, mich in den Vorlesungssaal reinschleichen zu können. Ich öffnete also leise und vorsichtig zu Tür – und sah meinem Vater direkt in die Augen. Ich hatte den Dozenteneingang erwischt. Jetzt musste ich rein.

Er kam auf mich zu, legte seinen Arm um meine Schultern, drehte mich der Zuhörerschaft zu und sagte den Studenten, die neugierig geworden waren: „Und dieser Störenfried ist mein Sohn!“

Wenn eine Verspätung glücklich macht​

Diesen „Störenfried“ habe ich ihm jahrelang – nein, jahrzehntelang – nachgetragen und übel genommen. Es brannte sich regelrecht in mein Hirn ein. Und erst, als ich diese Situation mit The Work of Byron Katie hinterfragte, ob sie wirklich so geschehen ist, wie ich es bis dahin glaubte, konnte ich sehe, was ich all die Jahre nicht hatte sehen wollen und können: Mein Vater hatte seinen Arm um mich gelegt! Er hatte der Studentenschaft mich als seinen Sohn vorgestellt. Wir gehörten zusammen. Ich war sein Sohn. Und das hat er allen gezeigt. 

Und ich hatte unbewusst von ihm erwartet, dass er über seinen Schatten springt und meine Unpünktlichkeit großzügig übersieht. Was für eine Anmaßung von mir!

Als ich das begriff, veränderte sich meine Lebensgeschichte ein ganz kleines Stückchen zu mehr Freiheit und Freude. Und auch meine Verspätung, die ich jahrelang als Fauxpas gesehen hatte, konnte ich plötzlich als glücklichen Umstand erkennen. Wäre ich damals pünktlich gewesen und hätte ich wie die anderen Studenten irgendwo in einer der vielen Sitzreihen Platz genommen, hätte er mich sicherlich nicht vor allen Zuhörern in den Arm genommen. 

Heute bin ich froh, dass ich mich damals verspätet habe. Und dass er mich als Störenfried bezeichnet hat? Ist das wirklich schlimmer als das, was ich damals – mit langen wallenden Haaren, Lederjacke und zerschlissenen Jeans – über ihn gedacht habe: „Was für ein Spießer!“

Wenn ich an diese Geschichte zurückdenke, muss ich immer wieder schmunzeln. Wieviel Stress wir uns machen mit unseren Gedanken, die nur einen Aspekt aus einer Situation herausgreifen; ein Aspekt, der unser Urteil, das wir schon längst haben, nur bestätigt. Und andere Aspekte, die uns glücklich machen könnten, einfach ignorieren.

Die Lebensgeschichte umschreiben​

Viele Menschen haben das Bedürfnis, ihre Lebensgeschichte zu schreiben. Sie haben viel erlebt, Wichtiges erlebt, und sie wollen es der Nachwelt erhalten. Wird die eigene Lebensgeschichte wahrer, wenn wir sie verschriftlichen?

Ist es nicht viel aufregender, unser Leben neu zu schreiben. Jeden Tag neu zu denken. Ich für meinen Teil hatte den größten Teil meines Lebens die Vorstellung, dass sich kein Mensch für mich interessiert. So habe ich mich zurückgezogen und vieles mit mir selbst ausgemacht.

Diesen Glaubenssatz: „Kein Mensch interessiert sich für mich“ habe ich mit The Work of Byron Katie überprüft und hinterfragt, ob das tatsächlich wahr ist. Und ich musste feststellen, dass ich das Interesse anderer Menschen an mir nicht sehen wollte. Ich hab’s schlichtweg ignoriert. Doch als ich anfing, dieses Interesse an meiner Person nicht mehr zu übersehen, hat sich meine Lebensgeschichte verändert.

Wenn ich heute meine Biografie schreiben müsste, würde ich sie anders schreiben als noch vor Jahren. Ich bin nicht mehr der, für den sich keiner interessiert hat, sondern einer, der es nicht wahrhaben wollte, dass es doch Menschen gibt, die sich für ihn interessieren.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, seine Lebensgeschichte zu Papier zu tragen? Jede Geschichte ist immer nur eine Momentaufnahme, und gleichzeitig festigt sie das, was wir schon immer für wahr hielten.

So hat sich meine Lebensgeschichte im Laufe der letzten Jahre immer wieder verändert. Es kommt drauf an, was und wie ich mich sehen will. Jetzt.

Deine Lebensgeschichte ist ein flexibles Gut. Du kannst sie jeden Tag neu schreiben und mit ihr spielen. Du kannst dich jeden Tag neu entdecken, wenn du nicht der Meinung bist, dass du ein Sklave der Umstände bist, sondern sie selbst erfindest. Nämlich dann, wenn du die wenigen Tatsachen in deinem Leben mit Bedeutung aufheizt – im Guten wie im Schlechten.

Worin liegt der Wert einer festgeschriebenen Lebensgeschichte?