Ehrlich mit sich selbst

Kleines Kunststück vollbringen

Ehrlich zu sich selbst sein bedeutet, unliebsame Eigenschaften akzeptieren. Annehmen und ändern. Dabei entdecken wir unsere Widersprüchlichkeit als Ausdruck von Lebendigkeit.

Um ehrlich zu sich selbst zu sein, braucht es zu allererst die Bereitschaft, die Dinge anzunehmen, wie sie sind und auch die Bereitschaft zu sehen, dass wir als Persönlichkeit gar nicht eindeutig und berechenbar sind, sondern in vielerlei Hinsicht auch widersprüchlich.

Es geht um eine Grundhaltung, authentisch leben zu wollen. Nicht nur sich selbst, sondern auch der Welt gegenüber. Es braucht das Ja zu einer Welt, die ist, wie sie ist! Mit einer Grundhaltung des Akzeptierens, sich und der Welt gegenüber. 

Der Unterschied ist klein, aber fein. Wenn du die Vorstellung hast, die Welt darf nicht so sein, wie sie momentan ist, und es sollte sich alles möglichst schnell ändern, gibst du die Selbstverantwortung ans „Universum“ ab, die Zustände hier auf Erden zu ändern.
 
Doch nichts wird sich ändern, nur weil man besorgt oder wütend ist. Wut ist zunächst einmal ein Alarmlämpchen, aber noch kein Motor.

Ehrlichkeit ist das bewusste Annehmen der Dinge, wie sie sind.​

Ekke Scholz

Wenn du aber die Zustände auf der Welt in ihrem So-Sein annimmst, wie sie zur Zeit sind, dann kannst du auch genau hinschauen und Details finden, die du ändern kannst. So kannst du einen kleinen Beitrag leisten und die Welt nach deinen Vorstellungen anfangen zu ändern.

Erst ein einfaches Ja zu dem, was ist, beinhaltet die Möglichkeit, etwas zu verändern. Wer nur will, dass die Dinge anders sein sollten, nimmt sich aus der Verantwortung und sonnt sich in seiner kritischen Ablehnung.

Fallbeispiel

Negative Bestätigung

Tatjana beschreibt sich als unsicheren und schüchternen Menschen. Sie fühlt sich von vielen andren Menschen nicht wahrgenommen oder wertgeschätzt. Gleichzeitig sagt sie über sich: „Ich bin ja auch nicht liebenswert!“

Eines Tages kommt sie im Coaching auf ihren Arbeitskollegen Marcel zu sprechen, den sie „sympathisch“ findet.

Sie findet es schade, dass er sich in ihrer Nähe nicht wohl fühlt. Sobald sich beide im Gang oder in der Kantine treffen, wirkt es so, als wäre er auf dem Sprung. Seine Hände fahren nervös durch sein Haar, er wendet viel den Kopf ab und schaut sich um. Gelangweilt. Es ist, als würde er am liebsten abhauen.

„Bleibt er denn stehen, wenn ihr euch im Gang begegnet?“ – „Schon.“

„Hat er denn „gute“ Ausreden, warum er weitergehen muss?“ – „Er muss selten weitergehen.“

„Wendet er nur den Kopf oder sieht er dich auch an?“ – „Er schaut mich auch an!“

„Welche Augenfarbe hat er?“ – „Blau!“

„Was siehst du in seinen Augen?“ – „Manchmal leuchten sie ein bisschen!“

„Wie verläuft das Gespräch? Redet ihr gleich viel oder redet einer mehr?“ – „Er redet eindeutig mehr!“

„Redet ihr nur über Berufliches oder auch Privates?“ – „Auch Privates!“

„Und dabei fährt er sich ständig mit den Händen durch die Haare?“ – „Manchmal kratzt er sich auch im Gesicht!“

„Lacht er?“ – „Viel!“

„Und du?“ – „Ich auch. Ich bin total verlegen!“

„Kratzt du dich dann im Gesicht?“ – „Nee, ich kratze mich viel an meinen Händen!“

„Und dein Kopf?! Schaust du dich manchmal um?“ – „Die ganze Zeit schaue ich mich um. Irgendwie will ich nicht, dass man uns sieht und denkt … „

„… dass du Marcel sehr magst und er dich auch?“

Tatjana schlägt die Augen nieder und lächelt: „Ja!“

Ihr Glaubenssatz, dass sie nicht liebenswert ist, hat es ihr unmöglich gemacht zu sehen, was tatsächlich passiert. Sie hat Marcels Verhalten sofort so interpretiert, dass sich ihr Glaubenssatz „Ich bin nicht liebenswert“ einmal mehr bewahrheitet.

Mit unseren Glaubenssätzen filtern und „verstehen“ wir die Welt um uns herum. Sie automatisieren unser Verhalten und blenden uns, weil wir nicht mehr sehen, was wirklich passiert. 

So bauen wir uns unsere eigene Welt. Wir glauben, „Tatsachen“ zu beurteilen, und merken gar nicht, wie unsere Urteile zu Tatsachen werden.

EHRLICHkeit und Schattenarbeit

Ehrlichkeit hilft dabei, tiefliegende Muster und Verhaltensweisen zu identifizieren und zu verstehen, anstatt sie zu verbergen oder zu verdrängen. Es ermöglicht es uns auch, Verantwortung für unsere Handlungen und Gedanken zu übernehmen und uns bewusst zu entscheiden, wie wir in Zukunft damit umgehen wollen.

Zudem kann Ehrlichkeit auch in Beziehungen von großer Bedeutung sein, da es uns hilft, authentisch und transparent zu sein und dadurch Vertrauen und tiefere Verbindungen aufzubauen.

In der sogenannten Schattenarbeit geht es letztendlich darum, sich selbst und andere besser zu verstehen und zu akzeptieren, und Ehrlichkeit spielt dabei eine wichtige Rolle.

In der Schattenarbeit geht es darum, die eigenen tiefliegenden Gedanken, Gefühle und Verhaltensmuster zu erkunden und zu verstehen, um dann bewusster und authentischer leben zu können. Ehrlichkeit ist hierbei ein wichtiger Faktor, da es nicht möglich ist, die eigene Schattenarbeit effektiv zu betreiben, wenn man nicht bereit ist, ehrlich zu sich selbst und zu anderen zu sein.

EHRLICH ZU SICH SELBST SEIN BEDEUTET …​

So verhält es sich auch mit der Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Wir können nur ehrlich mit uns sein, wenn wir bereit sind, uns zu nehmen, wie wir sind. Wenn wir keine unerwünschten Eigenschaften mehr leugnen oder ignorieren wollen. Wenn wir bereit sind, unsere ungeliebten Anteile, unsere Schattenseiten, unsere ungesehenen Bedürfnisse und Gefühle anzunehmen.

Ehrlichkeit sich selbst gegenüber erschöpft sich nicht in einer Aussage wie etwa „Ich mag meine Schwiegermutter nicht“, sondern sie setzt einen Prozess in Gang, in dem man sich selbst erforscht und untersucht, was diese Ablehnung bedeutet. Woher sie kommt und was genau hinter ihr steckt.

Ehrlichkeit zu sich selbst ist manchmal eine schmerzliche Nabelschau. Es ist kein Kokettieren mit pseudo-charmanten Eigenschaften, die man gelegentlich rauslässt: „Ach, ich bin so blöd!“ oder „So ungeschickt kann auch nur ich sein!“

Keine Masche leben​

Ehrlich zu sich selbst sein bedeutet nicht nur, unsere besonderen Fähigkeiten herunterzuspielen und mit Bescheidenheit zu kokettieren. Und es reicht auch nicht, ausgesuchte Fehler und Mängel werbewirksam an den Pranger zu stellen, um von Freunden und Bekannten das Gegenteil zu hören.

Das ist nur eine Masche, die zur rechten Zeit und am rechten Ort wirksam zur Schau gestellt wird.

Echte Ehrlichkeit zu sich braucht kein Publikum. Sie ist eine Verpflichtung uns selbst gegenüber, unserer Persönlichkeit und Authentizität. Sie lebt ohne Vergleich und ohne Show. Eine geeignete Methode, seiner Ehrlichkeit mehr Raum zu geben, ist das automatische Schreiben. Jeden Tag  – in einem geschützten Rahmen – ein bisschen mehr die Hosen runterlassen. Ehrlichkeit hat eben auch viel mit Mut zu tun.

Wenn du das automatische Schreiben nutzt, um dich selbst besser kennenzulernen, hörst du auf in den Spiegel zu blinzeln, sondern schaust dich mit großen Augen an. Manchmal vor Glück, manchmal vor Entsetzen.

WIDERSPRÜCHLICHKEIT​

Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ist mehr als nur die Bereitschaft zu mehr Wahrhaftigkeit. Es fordert auch ein bisschen anderes Denken.

Wir alle sind widersprüchliche Wesen – was uns oft nicht gefällt. Es ist uns wichtig für klar, eindeutig und zuverlässig gehalten zu werden. So wie wir es auch von anderen Menschen erwarten.

Doch zu unserem Leidwesen sind wir oft uneindeutig, zwiespältig, unentschlossen, unzuverlässig; egal wie sehr wir uns ums Gegenteil bemühen.

Und dort, wo wir unsere Widersprüchlichkeit wahrnehmen, ignorieren oder verleugnen wir sie. Im Gespräch streiten wir es ab. Widersprüchlichkeit kommt uns vor wie missraten erzogen.

Perfekt sein: dem "Funktionieren" näher als der Lebendigkeit.

Ekke Scholz

Wir optimieren uns Richtung Berechenbarkeit und verwechseln es mit Zuverlässigkeit. Perfekt in jeder Hinsicht, dem Funktionieren näher als dem Leben.

Leben ist ein einziges Auf und Ab, Hin und Her – und genau das macht es bunt und lebendig. Wenn wir es gegen jede Widersprüchlichkeit planieren, verlieren wir genau diese Vielfalt auch in unserem eigenen Leben. Aus virtuoser Komplexität wird schnörkellose Funktionalität. Nun … wer’s mag.

LEBEN IST VOLLER WIDERSPRÜCHE​

Unser Geist duldet keine Gegensätzlichkeit. Er hasst Überraschungen, und so begradigt er die Schlenker des Lebens, wo er nur kann.

Jeder kennt die Redewendung: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.

Aber kaum einer nimmt sie sich zu Herzen in dem Sinne, dass er die Unberechenbarkeiten des Lebens mehr würdigt statt sie mit aller Macht „wegzuplanen“.

Unser widersprüchliches Verhalten ist eine Fundgrube für Sozialmissionare und Besserwisser.​

Ekke Scholz

Wer glaubt, dass das Leben linear verläuft und dass es keine Widersprüche geben darf, der befindet sich auf verlorenem Posten. Der wird ständig an sich und anderen Menschen ihre Widersprüchlichkeit sehen und sie sich und anderen Menschen vorwerfen.

Wir Menschen sind mit einem arbeitenden Organ namens Hirn ausgestattet. Es arbeitet komplex und nicht linear. Wer mehr Geradlinigkeit in seinem Leben erwartet, für den ist komplexes Verhalten immer kompliziertes Verhalten.

MAL GANZ EHRLICH …​

Kennst du das nicht auch von dir? Situationen, in denen du pünktlich sein willst, und Situationen, in denen Pünktlichkeit nicht wichtig ist. Oder kennst du nicht auch Menschen, die warmherzige Beziehung zu verschiedenen Menschen haben hat, während sie bestimmten anderen Personen die kalte Schulter zeigen?
 

Gerade in einer Partnerschaft leben wir mit einem Menschen zusammen, dessen Verhalten uns oft widersprüchlich vorkommt, und wir wissen nicht, wie wir mit den auftauchenden Enttäuschungen umgehen sollen.

Aber verhält er sich tatsächlich widersprüchlich oder kennen wir nur nicht die wahren Motive, sprich Glaubenssätzen hinter seinem Verhalten.

Wer ehrlich zu sich selbst sein will, der muss sich auch seine Widersprüchlichkeit anschauen. Muss sich seinen Verdrängungsmechanismen wie Ignoranz, Verdrängung und Leugnung stellen.

Wer einmal ganz ehrlich zu sich selbst sein will, der kann sich die einfache Frage stellen: „Was will ich (über meine Beziehung/Ehe) nicht wissen?

Diese Frage irritiert vielleicht im ersten Moment und scheint irgendwie absurd zu klingen. Klar, denn wenn wir etwas jahrelang ignorieren oder leugnen, dann verlieren wir es aus den Augen. Aber unser Verstand „sieht“ es weiterhin. Er muss es sehen, sonst könnte er es nicht „beiseite“ schieben. Die Ursache sind unsere Glaubenssätze.

Diese Frage wird nur in den seltensten Fällen sofort beantwortet. Sie arbeitet in uns und oft taucht erst im Laufe der nächsten Stunden ganz zäh eine Antwort auf, die so lauten könnten: Ich will nicht wissen, dass meine Ehe kaputt ist und nicht mehr zu retten. Ich will nicht wissen, dass ich mir seit Jahren vormache, ich bräuchte nichts von meinem Partner. Ich will nicht wissen, dass mein Grundlebensgefühl lautet: Ich gehöre nicht dazu! und dass ich dafür sorge, dass dieser Glaubenssatz auch in Erfüllung geht.

Ich will nicht wissen, dass ich eigentlich eifersüchtig bin. Ich will nicht wissen, dass mein Partner fremd geht. Ich will nicht wissen, dass ich meine Partnerin nicht mehr liebe und dass ich mich am liebsten trennen würde.

Ehrlichkeit sich selbst gegenüber klingt gut, erfordert aber Mut. Das gilt natürlich erst recht für Ehrlichkeit in einer Partnerschaft, ohne die eine erfüllende Beziehung nur schwer vorstellbar ist.

In diesem Sinne bedeutet es, sich mutig mit all seinen Fehlern und Marotten zu nehmen und zu leben. Sich nicht von seinen „Mängeln“ verunsichern zu lassen.

Ehrlich zu sich selbst sein bedeutet nicht, sich perfekt zu optimieren, sondern sich anzunehmen wie wir sind.

GASTBEITRAG AUF HAFAWO​

Warum eigentlich ist es 80% aller Deutschen wichtig, dass sie einen ehrlichen Partner haben? Dieser Frage gehe ich in einem Gastbeitrag „Über die Ehrlichkeit und warum wir lügen“ auf HAFAWO – Happy Work. Happy life.

Mit Herz und Verstand unterstütze ich enttäuschte Menschen dabei, ihre stagnierende Partnerschaft durch mein neuartiges ‚BeziehungsReich-System‘ auf einen liebevollen und nachhaltigen Weg zu lenken, um sich wieder respektvoll und innerlich frei mit ihrem Partner zu verbinden.

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Das Glück, authentisch zu sein, bedeutet, in Einklang mit sich selbst zu leben und sich nicht zu verstellen. Es bedeutet, seine eigenen Überzeugungen und Werte zu kennen und danach zu handeln.

Loslassen lernen erfordert nicht nur die Bereitschaft dazu, sondern auch das Verständnis über den Zusammenhang von Tatsachen und Gedanken. Denn wir können keine Tatsachen, keine Personen oder Sachverhalte loslassen, sondern nur unsere Gedanken.

Den Weg zur inneren Freiheit finden wir über das Loslassen. Aber wie kann man überhaupt loslassen?

Unsere Bedürfnisse sind die großen inneren Motivatoren, die uns antreiben. Werden sie erfüllt, sind wir glücklich. Bleiben sie unbefriedigt, sind wir frustriert. Als erstes müssen unsere existenziellen Bedürfnisse befriedigt werde.

Nach einer kreativen Explosion in der Kindheit verkümmern bei vielen Menschen Ressourcen und Lebensziele. Äußerliche Werte werden immer wichtiger, aber Persönlichkeitsentwicklung ist ein seelischer Prozess.