Verletzte Gefühle besser verstehen

Worte treffen, Gedanken zerstören: Warum Gefühle eigentlich unverletzlich sind

Kränkungen entstehen oft aus Wut, Angst oder Verzweiflung heraus und sind Ausdruck einer tiefen Verletzung. Neben dem Schmerz, den sie anderen zufügen, führen massive und wiederkehrende Kränkungen oft zu Streit und am Ende gar zu Trennungen.

Immer wieder hört man im Gespräch mit Freunden, die über ihren Lebensgefährten reden, dass sie sich immer wieder ihre Gefühle verletzen.

Oder aber man liest in Internet-Foren oder Psycho-Erste-Hilfe-Seiten die Frage an den Ratgeber: „Was kann ich tun? Mein Freund hat meine Gefühle verletzt.“ Manchmal klingt es wie ein Verrat an der besonderen Liebe. Doch kann man Gefühle überhaupt verletzen?

Und natürlich sind verletzte Gefühle auch der Stoff, aus dem Krimis geschrieben werden wie beispielsweise im ZDF in der Serie „Der Alte – Verletzte Gefühle“).

Auf Wikipedia wird zwar Kränkung (Mortifikation) als Verletzung eines anderen Menschen in seiner Ehre, seinen Werten und seine Gefühlen definiert, doch halte ich das für eine grobe Ungenauigkeit: Gefühle lassen sich nicht verletzen!

Ich weiß, das klingt provokant formuliert. Dass bei der seelischen Verletzung individuelle Werte eine große Rolle spielen, kann ich bestätigen. In diesem Artikel will ich zeigen, dass Gefühle erst durch die Verletzung von Werten ausgelöst werden. 

Auf der einen Seite wirkt die Redewendung „X hat Y’s Gefühle verletzt“ floskelhaft und banal – wenn es auf der anderen Seite für den Betroffenen nicht so schlimm wäre. Mit dauerhaften Verletzungen setzt man natürlich die seelische Gesundheit und die Liebe und emotionale Verbundenheit aufs Spiel. Das gilt für beide Seiten.

Meistens wird die Redewendung als Platzhalter für irgendetwas genutzt, was irgendwie weh getan hat. Die Tipps und Ratschläge der Experten beziehen sich auf das Irgendwie.

Konkret werden hilft.
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WIE DIE WAHREN GEFÜHLE VERWÄSSERN​

Die Umgangssprache kennt unzählige „Gefühle“. Stress, Frust, depressiv, glücklich, stolz, Ohnmacht oder verzückt.

Im Internet kursieren Listen mit Gefühlen, über die ich mich wundere. Darauf liest man Begriffe wie „abwesend“ oder „dürstend“ und „Abenteuerlust, Bedauern, Blockade oder Dankbarkeit“. Haupt- und Eigenschaftswörter werden durcheinandergewirbelt. Auf einer solchen Liste gibt es sogar das Gefühl „kein Gefühl“.
 

Wozu das Ganze? Downloaden und auswendig lernen? Um auf diesem Wege seine Liebe zu fördern und seine seelische Gesundheit zu stärken? Mir drängt sich der Verdacht auf, als hätte der Autor mal eben den Duden abgeschrieben.

Diese Menge angeblicher Gefühle verwässert den Begriff. Für eine klare Kommunikation in einer Beziehung und den Umgang miteinander ist diese Unklarheit eher problematisch. Emotionale Nähe gewinnt durch Eindeutigkeit und Klarheit.

Da ist es hilfreich, diese scheinbar große Vielfalt an Gefühlen auf wenige Grundgefühle zu reduzieren. Angst, Trauer, Wut, Scham und Freude.

Konkret werden!​

Wenn man sich die Adjektive und Adverbien auf diesen Listen der Reihe nach durchliest, fällt auf, dass Gefühle – grammatikalisch betrachtet – Substantive sein wollen.

Um das zu verdeutlichen, entnehme ich einer Liste ein halbes Dutzend „Gefühle“ mit dem Anfangsbuchstaben A: „abgehängt, abgeneigt, abgestellt, abhängig, abscheulich, abwehrend usw.“

Wie würden diese Gefühle als Hauptwort lauten?! Abgehängtheit, Abgeneigtheit, Abgestelltheit, Abhängigkeit, Abscheulichheit? Das sind Begriffe, bei denen jede Rechtschreibprüfung eines Schreibprogramms ausrastet. Nie gehört, nie gesehen.

Mal angenommen, Barbara hat Peters Gefühle verletzt. Hat sie seine Abgehängtheit, seine Abgestelltheit, seine Abhängigkeit, seine Abscheulichkeit … nein, wohl kaum. Wie eigentlich kann Barbara durch Abscheulichkeit verletzt werden?

VIER GRUNDGEFÜHLE​

Um ein bisschen Licht in diesen undurchsichtigen Verhau von Gefühlen zu bringen, werden wir einige „Gefühle“ unter einem Begriff zusammenfassen. Auf den Sinn und den Nutzen einer solchen Vereinfachung gehe ich weiter unten eingehen.

Beispielsweise lassen sich Verärgerung, Ärger, Aggression, Empörung, Zorn, Rage oder Groll unter dem Begriff der „Wut“ zusammenfassen.

Dieses Kategorisieren von Begriffen lässt sich auch bei „Gefühlsvariationen“ der Angst anwenden. Synonyme der Angst sind Bedrohung, Sorge, Furcht, Grauen, Befürchtung, Besorgnis.

Sinnähnliche Wörter für Trauer sind Schwermut, Trübsinn oder Schwermütigkeit, Wörter wie Verzückung, Fröhlichkeit und Heiterkeit lassen sich unter der Freude zusammenfassen.

Letzten Endes lassen sich alle „gelisteten Gefühle“ auf vier Gefühle runterbrechen: Die Trauer, die Angst, die Wut und die Freude.

Was geht bei dieser Vorgehensweise verloren? Die Vielfalt und Differenzierung von „Gefühlen“, die – auch im positiven – unser Leben so bunt machen.

Was wird gewonnen durch mehr Eindeutigkeit?

Alle diese Begriffe haben eine psychohygienische Funktion.

Wut kann man nicht verletzen, nur die Gedanken, die zur Wut führen.

Und die Freude lässt uns unser Leben genießen. Alles ist ok, sagt sie uns.

Die Trauer hilft uns zu verarbeiten, was war und verloren gegangen ist.

Die Angst hilft uns Probleme, die in der Zukunft auftauchen (könnten), zu vermeiden und der Umgang planen.

Die Wut hilft uns zu erkennen, dass im Hier und Jetzt etwas nicht stimmt und gegen unsere Vorstellungen verläuft.

Wie könnte man eins dieser Gefühle verletzen?

Nehmen wir beispielsweise die Wut. Es ist ein mächtiges Gefühl, das mich im Falle von gefühltem Unrecht ganz ausfüllt. Der Puls steigt, das Herz schlägt schneller. Meine Atmung verändert sich. Meine körperliche muskuläre Anspannung wächst. Das ist ein körperliches Geschehen, das ich nur schwer unterdrücken kann.

Aber vor allem: keiner kann dieses körperliche Geschehen verletzen.

Genauso ist es mit der Angst. Kein Mensch kann meine Angst verletzen. Wie sollte jemand meine Angst verletzen können?

Wenn nicht die Gefühle verletzt werden können, was dann?

Verletzt werden nicht unsere Gefühle, sondern unsere Gedanken. Unsere Glaubenssätze und die damit verbundenen Werte.

Das klingt ja noch absurder als die Behauptung, dass man Gefühle nicht verletzen kann. Gefühle nein, Gedanken ja?

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WAS VERLETZTE GEFÜHLE WIRKLICH SIND​

Ein anderes Beispiel: Kevin wirft Julia in einem heftigen Streit vor, dass sie frigide sei. Das bringt sie auf die Palme. Sie wird total wütend.

Aber nicht, weil ihre Gefühle verletzt worden sind. Sondern weil sie sie gerne mit Kevin schlafen würde, aber unter anderen Voraussetzungen. Mit einem längeren Vorspiel und nicht, wenn alles abgedunkelt ist. So wir er es mag. Und wie er es in den letzten Jahren durchgesetzt hat.
Sie hat andere Vorstellungen über Sex als er – kann aber nicht mit ihm darüber reden.
 
Sie fühlt sich deswegen gekränkt, weil er einen wunden Punkt angesprochen hat. Sie wünscht sich selbst mehr Sex, kann aber nicht mit ihm darüber reden, weil sie den Gedanken hat: „Das würde einen Keil zwischen uns treiben!“
Genau genommen werden Gedanken, die wir für wahr halten, und Glaubenssätze, die uns wichtig sind, in Frage gestellt oder es wird das Gegenteil behauptet. Wir werden in Frage gestellt.
 
Wenn Julia ihrem Partner Kevin vorwirft, er sei unzuverlässlich, dann trifft ihn das und kränkt ihn, weil er vom Gegenteil überzeugt ist. Er ist der Meinung, er sei zuverlässig. Und es ist ihm auch wichtig, von ihr und anderen als zuverlässig gesehen zu werden.
 
Da Julia anders über ihn denkt, wird er wütend. Er glaubt sich rechtfertigen zu müssen. Der Streit, wer recht hat, beginnt.
 
Du siehst, es geht nicht um verletzte Gefühle, sondern um unterschiedliche Gedanken über eine Person oder Situation.
 

WIE HÄNGEN GEFÜHLE UND GEDANKEN ZUSAMMEN?​

Nachdem wir oben bestimmte Gefühlsvarianten einem Hauptgefühl zugeordnet haben, wenden wir uns nun Gefühls-Gedanken-Formationen zu. Also Begriffen, die scheinbar einfach zu verstehen sind, aber tatsächlich viel beinhalten.

Viele Begriffe aus dem Bereich der Empfindungen und Gefühlen sind solche Formationen, geradezu Ungetüme, bei denen bestimmte Gefühle und bestimmte Gedanken standardmäßig miteinander verbunden sind und eben auch zu einer gewissen Verwirrung sorgen.

Verzweiflung und Enttäuschung

Ein Beispiel für eine solche standardmäßige Verknüpfung ist das Wort „Verzweiflung“. Verzweiflung ist kein Gefühl, sondern die Kombination aus „Wut“ und „Angst“ (je nach dem auch „Trauer“), und Gedanken wie „Ich kann nichts tun!“ – „Mir sind die Hände gebunden!“ und weiteren ähnlichen Glaubenssätzen.

Bei einem Wort wie Enttäuschung, das auf der ersten Blick nach einem Gefühl aussieht, spielt die „Trauer“ mit. Und es spielen viele Erwartungen an einen Menschen oder eine Situation rein.

Dementsprechend vielfältig sind auch die Gedanken, die sich bei der Enttäuschung mit der Trauer verbinden.

„Er hat sein Versprechen nicht gehalten!“ bis zu „Den Verlauf der Wanderung habe ich mir ganz anders vorgestellt“ passen viele Gedanken dazu.

Enttäuschungen in Beziehungen sind ein ständiger Quell für Groll und Demütigung. Aber auf der anderen Seite auch die Chance, miteinander und voneinander zu reden.

Der Stolz​

Auch ein Begriff, der schnell in den Topf der Gefühle geworfen wird. Der Stolz ist aber mit vielen Gedanken und Gefühlen verbunden, die am Schluss wie eine Metalllegierung miteinander verschmolzen sind.

Die Überzeugungen/Gedanken lauten sinngemäß: meine Heimat ist die beste Heimat ist, die man sich vorstellen kann. Mit den besten Menschen, den besten Tugenden, den raffiniertesten Lebensmitteln, der längsten Tradition. Vielleicht ist die Heimat auch noch eine von Gott auserwählte.

Der Stolz beinhaltet die Freude als Gefühl, dazugehören zu dürfen und können. Sie beinhaltet die Wut, um sich kampfbereit gegen Menschen zu wehren, die diese Eigenschaften und Qualitäten in Frage stellen. Und sie beinhaltet auch die Angst, dass diese Eigenschaften gar nicht so absolut richtig sein könnten. Eine Angst, die auch genährt wird von der Ahnung, das all die Überzeugungen, die kein Mensch anzweifeln darf, vielleicht doch nur relativ sind.

Wenn also jemand XY in seinem Stolz gekränkt, dann nicht dessen Gefühle Freude, Angst oder Wut, sondern er stellt dessen Gedanken über Größe und Macht in Frage. Sein Selbstbewusstsein, seine Persönlichkeit und seine Identität in Form von Gedanken.

Gefühle lassen sich nicht verletzten, sondern nur innere Werte.​

Menschen fühlen sich einfach verletzt, wenn ihre Glaubenssätze in Frage gestellt werden. Wenn also Monika von Peter enttäuscht ist, weil sie glaubt, er habe ihre Gefühle verletzen wollen, dann weil sie gedacht hat, sie könnten am nächsten Wochenende nach langer Zeit wieder einmal einen Ausflug machen (Erwartung). Da er aber einmal mehr als selbstständiger Unternehmer noch arbeiten muss, wird sie traurig (Gefühl).

Wo Monika sich früher von Peter gekränkt fühlte, kann sie heute sehen, dass die Situation sie sehr traurig macht und welche unausgesprochenen Erwartungen sie an Peter stellt.

Mit diesem Wissen kann sie ganz anders in ein Gespräch gehen. Ohne Vorwürfe, dass er sie gekränkt hat, und mit mehr Klarheit, was sie von Peter erwartet. Darüber lässt sich reden.

Entschuldigungs-Spielchen vermeiden​

In fast jeder Beziehung kommt es zu Verletzungen und Kränkungen. Vieles passiert ungewollt und unbewusst, nur selten bewusst.
 
Manche von uns, die die Verantwortung für eine getane Kränkung übernehmen, entschuldigen sich und wollen es wiedergutmachen.
 
Wenn der Partner die ernstgemeinte Entschuldigung und die Wiedergutmachung annimmt, reicht eine Entschuldigung völlig aus.
 
Wenn der betroffene Partner allerdings nicht aus seiner Kränkung herauskommen kann und alle Entschuldigungen und Wiedergutmach-Versuche abblockt, arbeitet man sich an dem unwilligen Partner ab.
 
Man wird zunehmend devoter, verzweifelt und verbiegt sich immer mehr – und verachtet sich am Schluss selbst für sein serviles Verhalten. Außerdem kann man nicht aufhören, sich selbst Vorwürfe zu machen für die Verletzungen und Kränkung, die man dem anderen angetan hat.
 
Aber letzten Endes geht es gar nicht mehr um die Verletzung und Kränkung des anderen, sondern um seine eigene Verzweiflung, dass man vom anderen nicht „erhört“ wird.
 
Es geht um die eigene Verzweiflung. Die eigene Ohnmacht. Die eigene Hilflosigkeit.
 
Die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen bedeutet nicht nur, den anderen um Entschuldigung zu bitten und vielleicht Wiedergutmachung zu leisten, sondern auch an sich selbst zu denken und sich nicht in eine Situation hineinzumanövrieren, in der man den Partner insgeheim „um Gnade“ bittet.
 
Die fehlende Bereitschaft des Gekränkten, die Bitte um Entschuldigung anzunehmen, ist ja auch ein Machtgebaren und eine Bestrafung. Dieses „Spielchen“ funktioniert nur solange, bis wir aus Selbstachtung unser Anrennen beim Partner beenden.

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